Verstanden – Unverstanden (4.2.24)

Verstanden

Unverstanden

Schreibwerkstatt – Wunderbar

Es ist zum Allerweltswort geworden. Alles kann wunderbar sein, eine Nachricht, ein Moment, eine Begegnung, ein Nachtisch, das Wetter. Je länger ich nachdenke, wann ich das Wort wunderbar verwende oder wo es mir begegnet, kommen mir Zweifel, ob der inflationäre Gebrauch von wunderbar nicht ein Grund sein müsste, darüber nachzudenken, was wir wirklich und nachhaltig (noch so ein Wort) als wunderbar empfinden, empfunden haben. Worüber wundern wir uns nicht ständig? Und wo ist das Wunder? Wunderlich ist nicht wunderbar, eher sonderbar, wen wundert es? Lassen wir das, das Wörter Sammeln. Einverstanden? Wunderbar!

Wenn ich versuche, »wunderbar« zu beschreiben, denke ich an die Eindrücke einer besonderen Reise im Herbst 2011. Der Flug ging von München nach Marrakesch, wo wir einen Abend und den nächsten Tag in die unbeschreibliche Atmosphäre dieser Stadt eintauchten. Djemaa el Fna, der Platz der Gauklar, der Jardin Majorelle, der Bahia Palast, die Koutoubia-Moschee, Pomeranzenblüten, tausend Düfte, Farben, Gewürze, Parfums.

Mit diesen Eindrücken, für die sich die Reise schon an den ersten beiden Tagen gelohnt hatte, fuhren wir in Richtung Süden. Zwischenstation in Ai-Ben-Haddou, Weltkulturerbe, dann, am Fuße des Atlasgebirges, zugleich am Rand der Sahara Zagora, das Tor zur Wüste.

Die erste Nacht in der Wüste im Wüstenhotel Chez le Pacha in der Oase mHamid, wo uns am nächsten Morgen der Schrei eines Esels und der Ruf des Muezzins weckten. Ich weiß nicht mehr, was zuerst die für uns ungewohnte vollständige Stille durchbrach. Draußen waren die Kamele bereit für unsere Wüstenwanderung. Unsere Begleiter waren drei Experten für Kamelwanderungen, ein Koch und Hamid, der einst in Deutschland studiert hatte und als Reiseleiter und Dolmetscher für gute Stimmung sorgte. Am Morgen des 30. Oktober brachen wir auf in die Wüste. Gepäck, Vorräte und ausreichend Wasser transportierten die Kamele. Wir waren guter Dinge für die nächsten 6 Tage.

Besondere Wüstenerfahrungen waren die Abende, wenn wir einen Platz für das Nachtlager gefunden hatten und irgendwo zwischen den Dünen unsere Isomatten ausbreiteten und den Schlafsack ausrollten. Noch war es angenehm warm. Faszinierend die Stille. Man ist ganz für sich an einem Ort, an dem man noch nie gewesen ist und an den man nur in Gedanken zurückkehren wird. Weit entfernt die Menschen, an die man denkt. Die Sonne steht schon tief. Bald wird sie verschwunden sein. Ganz leise höre ich von irgendwoher Töne. Ist das nicht Mozarts kleine Nachtmusik? Ich lausche. So intensiv habe ich das noch nie gehört. Jemand muss die Klänge von seinem Smartphone abspielen. Totale Stille der Wüste, und wie aus einer anderen Welt die kleine Nachtmusik. Später sitzen wir zusammen, unsere marokkanischen Wüstenmenschen und wir, der Tag klingt aus mit einfachem Essen, Tee und Gesprächen.

Die Nacht in der Wüste ist kalt. Man muss sich warm anziehen. Der Sternenhimmel ist unbeschreiblich. Einschlafen wie einst Abraham. Wunderbar. Wenn man einschläft oder zwischendrin aufwacht, liegt man unter Millionen und Milliarden Sternen. Die Nacht hat ihre eigene große Faszination! Der neue Tag kündigt sich an mit dem sprichwörtlich gewordenen Silberstreif am Horizont. Nur für kurze Zeit ist er zu sehen, dann geht die Sonne auf, schneller als man möchte. Der Mond steht still und schweiget, aber die Sonne ist unermüdlich unterwegs. Ein neuer Tag ist angebrochen.           Nov. 2023

Schreibwerkstatt

Die Kirche

Ein Baum,
mit Wurzeln,
Ästen,
weit verzweigt,
blühend von Zeit zu Zeit,
Früchte ausbildend,
mancher Ast morsch,
absterbend,
aber auch neue Triebe.
Die Kirche – Ein Baum?

Oder eher
ein Fluss
von der Quelle
bis zur Mündung
immer größer werdend
mit Zuflüssen,
in engen Tälern sich den Weg bahnend,
weite Ebenen gestaltend
Lebensraum bietend für vieles,
Ruderboote, Kähne, Schiffe tragend,
flussaufwärts, -abwärts,
verseucht, verschmutzt auch,
etappenweise renaturiert,
sich endlich in tausend Arme verzweigend
bis er sich ins Meer ergießt,
sich vermischt mit dem salzhaltigen Ozean

Wo sind wir,
von der Quelle weit entfernt,
kaum noch Zuflüsse,
wo längst alles hineingeflossen ist,
ins Delta

Klimawandel
Flüsse, die austrocknen,
Quellen, die versiegen,
Wüsten, die wachsen.
Was wird
aus der Kirche?

10.10.23

Schreibwerkstatt

Ein Versuch.
Schon die erste Runde begeistert mich,
Anregungen,
mein Zittern der Hand ist kein Problem,
auch anderes nicht, womit jemand sich schwer tun könnte,
die Freude an den Wörtern überwiegt,
macht Lust auf Sätze, Gereimtes und Ungereimtes,
die Zeilen fügen sich aneinander,
damit das, was zwischen den Zeilen ist,
Raum bekommt, Zwischenraum gewissermaßen,
womöglich das Unsagbare aufscheint,
das Unbeschreibliche nicht unter den Tisch fällt;
Werkstatt – wo dran gearbeitet wird,
bis es – vielleicht – fertig ist.
11.10.23

Weihnachten

Immer noch
ein Fest
alles intensiver
Die Freude
Die Trauer
Der Glaube
Der Zweifel
Überhaupt – der Glaube an das Gute
Der Zweifel – an allem

Alles intensiver

Die Erwartungen der Kinder
die Enttäuschungen auch

Wie lange hält man das aus?
Das Fest der Freude, des Friedens? 8.11.23

zu früh – zu spät

I

Es ist nie zu früh
und selten zu spät

Wer zu spät kommt,
den bestraft das Leben

Redensarten,
geflügelte Worte

um den rechten Zeitpunkt
herum

II

zu früh
geboren,
zu früh auf die Welt gekommen,
ein Frühchen

III

zu früh
das Ende

IV

was wäre, wenn
es
kein „zu früh“
kein „zu spät“
gäbe,
gegeben hätte?