Laternelaufen

ev. Kirchengemeinde bietigheim
Das Wort für die Woche
vom 18. – 24. November 2024
von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

November ist auch die Zeit des Laternelaufens, der Laternenumzüge, der Laternenlieder. Schon die Kleinsten sind mit unterwegs, wenn es draußen dunkel und kalt geworden ist, warm eingepackt, damit sie nicht frieren. Stimmt es, dass man die Laternenumzüge früher häufiger gesehen hat? So kommt es mir jedenfalls vor: mit allen Arten von Laternen, große runde mit einem Sonnengesicht, schmale längliche mit bunten Mustern. Heutzutage haben sich vielfach die Kindergärten dieser Tradition angenommen, meist um den Martinstag herum, den 10. November. Aber eigentlich kann man jeden Abend Laternelaufen und Laternenlieder singen mit selbst gebastelten Laternen, mit einem Batterielämpchen erhellt, damit nichts anbrennt. Die Kinder stört das nicht, dass es keine echten Kerzen sind. Wenn es dann im Advent überall weihnachtlich wird, Christbäume und Lichterketten die Straßen und Häuser schmücken, ist die Laternenzeit, die Zeit der kleinen Lichter, vorbei.

Mich berührt es, wenn ich einen Laternenumzug entdecke, diese kleine Art einer friedlichen Demonstration der Freude und des Aufscheinens von Lichtern im Dunkeln: Dort oben leuchten die Sterne und unten, da leuchten wir… singen die Kinder. Was kommt einem da nicht alles in den Sinn?!
Laternelaufen gehen die Kinder nicht allein. Entweder sind die Eltern mit dabei oder die größeren Geschwister, Nachbarkinder oder es ist die ganze Kindergartengruppe samt Erzieherinnen, Eltern und Großeltern gemeinsam unterwegs. Behütet und begleitet gehen die Kinder durch die dunklen Straßen und Gassen. Die Laterne schützt das Licht. Die Kinder halten ihre Laterne vorsichtig in ihren kleinen Händen. Sie haben keine Angst im Dunkeln; aber sie spüren doch, dass die Nacht nicht weit weg ist, sondern geheimnisvoll nah und fremd, vor allem an Abenden, an denen der Himmel bedeckt ist, Mond und Sterne hinter Wolken verschwunden. Vielleicht gehören deshalb die Lieder zum Laternelaufen, damit es, wenn es dunkel ist, nicht auch noch gespenstisch still ist.
Was für ein wunderbarer Brauch hat sich da erhalten aus Zeiten, in denen es keine Straßenbeleuchtung gab und man Lampen benötigte, wenn man nachts unterwegs war, vielleicht um Hilfe zu holen oder Hilfe zu bringen. Mit einer Laterne sieht man nicht weit, sieht gerade den Weg für die nächsten Schritte, geht langsam voran, muss darauf achten, wohin man seinen Fuß setzt, und darf sich nicht verirren bis man die beleuchteten Fenster sieht und sich darauf freut, wieder zuhause und in einer warmen Stube zu sein.
Irgendwann ist es vorbei mit dem Laternelaufen, aber nicht mit der Dunkelheit und auch nicht damit, dass man in den Dunkelheiten dieser Welt Wege finden muss, aufeinander angewiesen ist, und dass es viele kleine Lichter braucht. Ihr seid das Licht der Welt, sagt Jesus seinen Jüngern, und sagt auch: Ich bin das Licht der Welt, damit die, die leuchten sollen, wissen, wo sie Orientierung bekommen.

SINN und ZUFRIEDENHEIT

Das Wort für die Woche vom 30. September – 6. Oktober 2024 von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

Neulich habe ich es mir aus dem Regal geholt, das 1962 erschienene Bändchen mit gesammelten Schriften von Antoine de Saint-Exupéry, Dem Leben einen Sinn geben. Es schien mir an der Zeit, es wieder einmal zu Hand zu nehmen. Darin enthalten ist der Brief an einen General, den er im Juli 1943 geschrieben hat und der 1948 posthum veröffentlicht wurde. Dort heißt es an einer Stelle:

„Ach, Herr General, es gibt nur ein Problem, ein einziges in der Welt. Wie kann man den Menschen eine geistige Bedeutung, eine geistige Unruhe wiedergeben; etwas auf sie herniedertauen lassen, was einem Gregorianischen Gesang gleicht!… Sehn Sie, man kann nicht mehr leben von Eisschränken, von Politik, von Bilanzen und Kreuzworträtseln. Man kann es nicht mehr. Man kann nicht mehr leben ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe…“

Heute würde er anderes aufzählen, vielleicht: Man kann nicht mehr leben von Nachrichten, Umfragen und Talkshows, von Online und Offline, KI, Tiktok und Facebook, obwohl unsere Gesellschaft und wir einzelnen längst süchtig danach geworden sind und spüren zugleich: Es stillt unsere Sehnsucht nach Leben nicht, womit wir uns beschäftigen, unterhalten oder zerstreuen lassen, aber wir können anscheinend auch nicht ohne das alles auskommen. Ist es die Unzufriedenheit, die unser Leben in Gang hält?

Was macht uns zufrieden? Sicher nicht die Ohnmacht, die wir empfinden, wenn wir tagtäglich durch die Medien an Abgründe und vor Situationen geführt werden, auf die wir nicht zu reagieren wissen. Krieg, Zerstörung, Hunger, Flucht. Aber was ist es dann?

Und wie lange hält ein Stück Zufriedenheit? Was gibt uns Halt, wenn die Zufriedenheit schwindet? Goethe lässt eine seiner Figuren im Wilhelm Meister sagen:

„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.“

»Auftanken«, sagen wir heute, »seinen Kompass ausrichten«, »sich sammeln«, »sich besinnen«, – was für ein Wort!

„Alle Tage wenigstens…“ seinen Rhythmus finden, seinen Halt suchen und wissen, wo er zu finden ist. Letzten Endes hängt unsere Zufriedenheit mit dem Sinn zusammen, den wir für unser Leben und unseren Alltag gefunden haben: für etwas oder für jemand da sein zu können, wie es der Predigttext des zurückliegenden Sonntags sagt: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die empfangen hat. 1. Petr. 4,10. Es ist sicherlich ganz praktisch gemeint.

Ebbe und Flut

Das Wort für die Woche vom 26. August – 1. September 2024

Nur einen Tag waren wir an der Küste, Nordseeluft atmen. Das Wetter war wunderbar! Als wir am späteren Vormittag das Meer sahen, war es weit weg: Ebbe. Nordseeluft gibt es auch bei Ebbe.Einige sind im Watt gewandert, andere haben Drachen steigen lassen, die Möwen haben die Menschen beobachtet und die Menschen die Möwen. Alles entspannt, keine Hektik. Ebbe ist schön. Nachmittags kam das Wasser zurück. Die ersten gingen dem Wasser entgegen. Man hat Zeit genug.

Das ist es, was ich an den Nordseetagen liebe: dass man Zeit genug hat. Auch wenn es nur ein paar Stunden sind: alles fühlt sich leicht an. Ebbe und Flut, ein ewiger Rhythmus. Flut bringt Erfrischung. Aber sie kann auch bedrohlich sein, kann zur Sturmflut werden. Ebbe ist zahm und voller Geheimnisse, aber sie muss der Flut weichen, wenn es Zeit ist.
Ist es nicht eigenartig, dass der Gezeitenrhythmus sein eigenes Gesetz hat, nicht den Wechsel von Tag und Nacht, sondern versetzt. Zweimal am Tag kommt die Flut, zweimal fließt das Wasser wieder ab. Man kann es nicht beschleunigen und nicht verlangsamen, man kann es sich nicht passend machen. Wie schön! Etwas, was sich der Menschenmacht entzieht und uns Menschen gerade dadurch gut tut und uns beglückt. Es ist, als würden Land und Meer einatmen und ausatmen, sich gegenseitig Raum geben, miteinander spielen, Tag und Nacht, jahrein, jahraus. Gut gemacht, Gott, schön geworden! möchte ich sagen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche in einem guten Rhythmus, Freude am Leben!

Brot

Das Wort für die Woche vom 15.-21. Juli 2024
Foto: TPlieninger, Wadi Rum, Jordanien

Viel Steine gab’s und wenig Brot heißt es in Uhlands berühmten Gedicht vom wackren Schwaben.In der Tat, so berichtet es auch die biblische Geschichte von der 40jährigen Wanderschaft der Israeliten durch die Wüste in ein fernes gelobtes Land…Sie sahen nichts davon, hatten Hunger und rebellierten gegen Mose, ihren Anführer. Was nützt die ganze Freiheit, wenn kein Brot da ist und der Hungertod droht? Was dann erzählt wird, ist die Geschichte vom Manna und den Wachteln (2. Mose 16). Gott lässt sein Volk, das er in die Freiheit geführt hat, nicht verhungern.

Freilich, nicht immer geht die Geschichte mit einem Wunder weiter. Millionen Menschen sind in unseren Tagen weltweit auf der Flucht, viele treibt der Hunger, vielen droht das Verderben. Das UNHCR, Hilfswerk der Vereinten Nationen, kämpft dagegen an, bittet um Spenden. Brot für die Welt, Misereor und wie die Hilfswerke alle heißen – die Not scheint schneller zu wachsen als ausreichende Hilfe.

Die Bibel kennt viele Geschichten rund ums Brot, darunter die Geschichten, in denen das wenige, was da ist, unter vielen geteilt wird: 5 Brote und 2 Fische, 5000 werden satt. Jesus lehrt uns bitten Unser tägliches Brot gib uns heute… und im gemeinsamen Essen schenkt er sich selbst: nehmt und esst, das ist mein Leib.

Freilich, nicht jedes Stück Brot, das wir essen, muss eine Meditation sein. Nicht jedes Mal müssen wir bewusst unserer Dankbarkeit Ausdruck geben. Das kann sonst auch zwanghaft werden. Aber von Zeit zu Zeit tut es uns gut, das selbstverständlich Gewordene nicht selbstverständlich zu nehmen. Brot wegzuwerfen oder verderben zu lassen, galt meiner Großmutter noch als Sünde. Ein Stück Brot genießen, es kann fast ein Gebet sein.

Unsere Generation hierzulande kennt den Hunger nur noch vom Erzählen und macht sich mehr Gedanken, was gutes, gesundes Essen ist, woher es kommt, unter welchen Bedingungen es produziert wurde, derweil es die kleinen Bäckereien längst nicht mehr gibt, in denen das Brot für eine Nachbarschaft gebacken wurde, Schwarzbrot, Weißbrot, Brezeln und Hefezopf.

Wer aber weiß, welche Wege wir in unserer Zeit noch geführt werden, welche Durststrecken noch auf uns warten, welcher Hunger uns noch zu schaffen machen wird und welcher Wunder wir noch bedürfen. Brot ist immer ein Geschenk, auch wenn man dafür arbeitet und es sich verdient.

Freundschaft – unfertige Gedanken

Das Wort für die Woche vom 3.-9. Juni 2024

Ja, es sind Wahlen am kommenden Sonntag, Wahlen zum Europa-Parlament, zum Stadtrat, zum Kreistag, zur Regionalversammlung. Selbstverständlich werde ich meine Stimme abgeben, selbstverständlich ist es mir nicht gleichgültig, wer und was gewählt wird, selbstverständlich bin ich dankbar, dass Frauen und Männer bereit waren, sich aufstellen zu lassen und bereit sind, im Falle der Wahl ein Mandat zu übernehmen.

Wahlen sind wichtig, überhaupt freie Wahlen, keine Scheinwahlen, bei denen irgendein Ergebnis im Voraus feststeht.

Wenn ich aber nun etwas von Freundschaft sagen möchte, dann deshalb, weil Wahlen wohl wichtig sind, aber nicht alles. Freunde wählen wir nicht aus. Freundschaften werden uns geschenkt. Es gibt alte Freundschaften aus Kindertagen oder der Schulzeit, die andauern und längst eine Geschichte haben. Es gibt neue Freundschaften, aus irgendeinem Anlass entstanden, unverhofft vielleicht und die dennoch wertvoll sind. Freundschaft, bis man sich dann doch wieder aus den Augen verliert.

Freundschaften können wachsen wie ein Baum, können stark werden wie dieser Olivenbaum, den mir vor wenigen Tagen einer gezeigt hat, der mir in kurzer Zeit ein Freund geworden ist. Man erkennt beim genauen Hinsehen den gewaltigen Stamm in der Mitte, ahnt die Wurzel, die dieses monumentale Gewächs trägt, sieht im Geist die Oliven, die in ungezählter Menge heranreifen, die Ernte, aus der man das kostbare Öl gewinnt. Was war es, das diesen Baum so stark hat werden lassen?

Ich denke an Freunde, die nicht mehr da sind, Todesanzeigen in meinem Album, Erinnerungen an Stationen der Freundschaft, gemeinsam Erlebtes, das keine Fortsetzung mehr haben wird. Eines Tages werde ich ihnen folgen, wenn mein Weg zu Ende gegangen ist. Bis dahin wird mir die Freundschaft am Herzen liegen und zugleich Grund großer Dankbarkeit sein.

Am Sonntag aber werde ich zur Wahl gehen und meine Stimme abgeben. Auch da spielt Vertrauen eine Rolle und, wie bei der Freundschaft, ist es auch hier ein Nehmen und ein Geben. Die Stimmabgabe ist nicht der Preis, den ich zahle, um eine Leistung zu erhalten, sondern eine Vertrauensbekundung für die Gewählten. Demokratie ist kein Schnäppchen, sie funktioniert – wie die Freundschaft – nur mit Vertrauen und im Miteinander.

In memoriam Dieter Adrion

6.5.1934 – 22.04.2024

Für die, die ihn gekannt und erlebt haben, ist er unvergessen. Viele Titel umfasst seine schwäbische Poesie unter dem Pseudonym Johann Martin Enderle im J.M.E. Selber-Verlag. Seine Vorträge – zu welchen Anlässen auch immer, waren heiter und leicht, niemals derb und grobschlächtig. Unvergleichlich hat er die Eigenarten des Schwäbischen und auch von uns Schwoba getroffen, „onser -le“, „onser gschwend“… Er hat den Dialog mit hoher Poesie nicht gescheut, das eine oder andere als ein Experiment ins Schwäbische herübergeholt! Schee war’s, guat war’s. Mir hättet ihm wirklich no oft ond no lang zuhöra könne, aber mir gönnet ihm sei Ruah. Schee wär’s trotzdem, er wär no doa.

Wo seine Bücher noch im Regal stehen, lohnt es sich, sie herauszuholen und schmunzelnd darin zu lesen, bei nächster Gelegenheit – in memoriam – auch daraus vorzulesen.

Ab 60 uffwärts

Schwäbische Nachempfindung des Geburtstagsgedichts „60“ von Johann Baptist Sproll, ehemals Bischof von Rottenburg

Herr, jetzt ben e also sechzig,
Nåch Deim Hemmelreich, då lechz ich
Jetzt no net, des håt no Zeit –
Lang ischt ja die Ewigkeit.

Tua, o Herr, no zeha drzua,
s pressiert net mit dr ew’ga Ruah.
Zeha plus sechzig, draus ergibt sich
Die viel schöner Zahl von siebzig.

Mit siebzig håt mr au no Ziel:
Nomål zeha wäret net zviel.
Weil, wer d’siebzig håt, der macht sich
Schließlich Hoffnong uff die achtzig.

Herr, i wär au net dr einzig,
Brächt-e-s am End gar no uff neinzig!

Jå, i wär net amål verwondert,
Tät e dr Rank kriaga bis hondert.

Aus: Mucka, Macka, Mödela, S. 57

Wenige Tage haben gefehlt bis zum 90. Heute, 11. Mai 2024, erschien die Todesanzeige in der Ludwigsburger Kreiszeitung.

Verstanden – Unverstanden (4.2.24)

Verstanden

Unverstanden

Alles hat (keine) seine Zeit

Das Wort für die Woche – 29. Januar 2024
ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim

Eine komplizierte Sache scheint es mit der Zeit zu sein, wie die astronomischen Uhren beweisen. Vielleicht ist es aber auch ganz einfach. Das Stundenglas, die Sanduhr, zeigt schlicht, wie die Zeit verrinnt. Es gibt viele Arten von Uhren, sündhaft teure Uhren, billige Massenware, modische Uhren, antike Uhren, Je mehr Uhren, desto weniger Zeit, will mir scheinen.

Mittlerweile sind wir schon einen ganzen Monat weit im Neuen Jahr vorangekommen. Die Lokführer streiken – wie andere schon vor ihnen – für kürzere Arbeitszeit. Was macht man mit der Zeit, die man weniger arbeitet? Ist Zeit, in der man nicht arbeitet, qualitätvoller? Oder geht es um etwas ganz anderes, um Anerkennung, um Zufriedenheit, um Resonanz, um Sinn? Was ist nur aus dem Kindertraum vom Beruf des Lokführers geworden? An Jim Knopf sei erinnert und Lukas den Lokomotivführer! Auch an Momo, die die Menschen erlöst von den Zeitdieben, die versprechen, sie würden die eingesparte Zeit auf eine Zeitsparkasse bringen. Stattdessen vernichten sie die Zeit, die die Menschen einsparen und Momo muss zu Meister Hora, dem Herrn der Zeit, um die gehetzte Menschheit zu erlösen, die immer mehr Zeit spart und immer weniger Zeit hat.

Alles hat seine Zeit, heißt der bekannte Text im Alten Testament, Buch des Predigers: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit … Es ist interessant, welche Wortpaare in diesem uralten Text aufgezählt sind und welche Wortpaare wir heute in diese Reihe einordnen würden. Vielleicht das: Arbeiten hat seine Zeit, nicht arbeiten müssen hat seine Zeit, verwirklichen hat seine Zeit, träumen hat seine Zeit, handeln hat seine Zeit, abwarten hat seine Zeit…

Geschenkte Zeit, vertane Zeit, erfüllte Zeit, verlorene Zeit, gewonnene Zeit. Noch immer faszinieren die Mönchsorden, die die Zeit eingeteilt haben durch Stundengebete, Arbeitszeiten und Zeiten des Lesens. Erstaunliches haben sie hinterlassen, nicht als Individuen, sondern in gemeinschaftlichem Befolgen der Regel. Von ihnen könnten wir im Umgang mit der Zeit immer noch lernen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit!

Heal the world

Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim – Wort zur Woche, 51. KW 2023

Unvergesslich für mich ist die Christmette 1999, für die wir mit unserer Band das Lied von Michael Jackson einstudiert hatten: Heal the world, make it a better place for you and for me and the entire human race…[1] Das Lied war ein Welthit, 1992 erschienen, als es noch fast kein Internet und noch lange keine Smartphones gab, kein Facebook, Instagram und Tiktok, kein YouTube, als man das Jahr 2000 im Blick hatte mit manchen Befürchtungen, aber vor allem mit großen Erwartungen und Hoffnungen nicht nur für ein neues Jahrhundert, sondern für Beginn einer neuen Menschheitsepoche. Heal the world hat uns aus dem Herzen gesprochen und die Herzen berührt. Es wurde für Generationen, die kommen sollten, gesungen, für Kinder in einer Welt ohne Krieg, voller Glückseligkeit, Traum und einem Leben ohne Angst. Freudentränen kamen vor.

Das Lied berührt mich immer noch, auch wenn mir heute das Adventslied von Jochen Klepper eher in die Zeit passen will: Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.

Die erste Strophe drückt Hoffnung aus, Ruhe, gibt ehrlichen Trost: …auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein. In den nächsten Strophen wird die Weihnachtsgeschichte gedeutet. Die Nacht ist schon im Schwinden, macht Euch zum Stalle auf. An der vierten Strophe bleibe ich hängen: Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld…

Weiter als bis zu dieser Zeile komme ich gerade gar nicht und kann es nicht fassen, was in dieser Welt und um uns herum geschieht. Die Welt ist wirklich nicht besser geworden seit dem Jahr 2000, ist die alte Welt geblieben, aber sie hat sich sehr verändert, und sie ist immer noch und weiterhin voller Menschenleid und Schuld.

Heal the world, make it a better place… Könnte man das Lied noch singen? Wir spüren ja, dass so vieles schon verloren ist, was wir nicht wiedergewinnen werden. Wir wissen zugleich, dass wir nicht weitermachen können wie bisher, wie wir es gewohnt sind. Ich lese doch weiter bei Jochen Klepper, 1937, sein Gedichtbändchen hieß Kyrie: doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld… Und dann, zum Schluss: Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt… Weihnachten 2023 – Fürchtet Euch nicht!


[1] … macht die Welt heil, macht sie zu einem besseren Ort für Dich, für mich, für alle Menschen…

Schreibwerkstatt – Wunderbar

Es ist zum Allerweltswort geworden. Alles kann wunderbar sein, eine Nachricht, ein Moment, eine Begegnung, ein Nachtisch, das Wetter. Je länger ich nachdenke, wann ich das Wort wunderbar verwende oder wo es mir begegnet, kommen mir Zweifel, ob der inflationäre Gebrauch von wunderbar nicht ein Grund sein müsste, darüber nachzudenken, was wir wirklich und nachhaltig (noch so ein Wort) als wunderbar empfinden, empfunden haben. Worüber wundern wir uns nicht ständig? Und wo ist das Wunder? Wunderlich ist nicht wunderbar, eher sonderbar, wen wundert es? Lassen wir das, das Wörter Sammeln. Einverstanden? Wunderbar!

Wenn ich versuche, »wunderbar« zu beschreiben, denke ich an die Eindrücke einer besonderen Reise im Herbst 2011. Der Flug ging von München nach Marrakesch, wo wir einen Abend und den nächsten Tag in die unbeschreibliche Atmosphäre dieser Stadt eintauchten. Djemaa el Fna, der Platz der Gauklar, der Jardin Majorelle, der Bahia Palast, die Koutoubia-Moschee, Pomeranzenblüten, tausend Düfte, Farben, Gewürze, Parfums.

Mit diesen Eindrücken, für die sich die Reise schon an den ersten beiden Tagen gelohnt hatte, fuhren wir in Richtung Süden. Zwischenstation in Ai-Ben-Haddou, Weltkulturerbe, dann, am Fuße des Atlasgebirges, zugleich am Rand der Sahara Zagora, das Tor zur Wüste.

Die erste Nacht in der Wüste im Wüstenhotel Chez le Pacha in der Oase mHamid, wo uns am nächsten Morgen der Schrei eines Esels und der Ruf des Muezzins weckten. Ich weiß nicht mehr, was zuerst die für uns ungewohnte vollständige Stille durchbrach. Draußen waren die Kamele bereit für unsere Wüstenwanderung. Unsere Begleiter waren drei Experten für Kamelwanderungen, ein Koch und Hamid, der einst in Deutschland studiert hatte und als Reiseleiter und Dolmetscher für gute Stimmung sorgte. Am Morgen des 30. Oktober brachen wir auf in die Wüste. Gepäck, Vorräte und ausreichend Wasser transportierten die Kamele. Wir waren guter Dinge für die nächsten 6 Tage.

Besondere Wüstenerfahrungen waren die Abende, wenn wir einen Platz für das Nachtlager gefunden hatten und irgendwo zwischen den Dünen unsere Isomatten ausbreiteten und den Schlafsack ausrollten. Noch war es angenehm warm. Faszinierend die Stille. Man ist ganz für sich an einem Ort, an dem man noch nie gewesen ist und an den man nur in Gedanken zurückkehren wird. Weit entfernt die Menschen, an die man denkt. Die Sonne steht schon tief. Bald wird sie verschwunden sein. Ganz leise höre ich von irgendwoher Töne. Ist das nicht Mozarts kleine Nachtmusik? Ich lausche. So intensiv habe ich das noch nie gehört. Jemand muss die Klänge von seinem Smartphone abspielen. Totale Stille der Wüste, und wie aus einer anderen Welt die kleine Nachtmusik. Später sitzen wir zusammen, unsere marokkanischen Wüstenmenschen und wir, der Tag klingt aus mit einfachem Essen, Tee und Gesprächen.

Die Nacht in der Wüste ist kalt. Man muss sich warm anziehen. Der Sternenhimmel ist unbeschreiblich. Einschlafen wie einst Abraham. Wunderbar. Wenn man einschläft oder zwischendrin aufwacht, liegt man unter Millionen und Milliarden Sternen. Die Nacht hat ihre eigene große Faszination! Der neue Tag kündigt sich an mit dem sprichwörtlich gewordenen Silberstreif am Horizont. Nur für kurze Zeit ist er zu sehen, dann geht die Sonne auf, schneller als man möchte. Der Mond steht still und schweiget, aber die Sonne ist unermüdlich unterwegs. Ein neuer Tag ist angebrochen.           Nov. 2023