Plädoyer fürs Warten

Ein gutes Wort für die Woche vom 21. Mai 2023 von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

Im Kirchenjahr sind die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten dem Warten vorbehalten. „Die wartende Gemeinde“ ist das Motiv des Sonntags nach dem Fest Christi Himmelfahrt. Was verbinden wir mit Warten? Angenehmes oder eher Unangenehmes? Die Wartemusik am Telefon nervt. Wir warten nicht gern, vor allem nicht, wenn es sich hinzieht. Aber genauso schwer tun wir uns, wenn uns für irgendetwas keine Zeit bleibt.

Warten – Abwarten – Erwarten – Zuwarten – Aufwarten

Das Auto zur Wartung in die Werkstatt bringen

Der Wärter, die Wärterin: sie kümmern sich

Ich habe ein ruhiges Bild für das Warten gewählt. Für vieles brauchen wir Geduld, vielleicht nur ein Quäntchen Geduld oder auch viel Geduld. Hoffentlich ist unsere Geduld nicht zu früh oder im falschen Moment zu Ende und der Geduldsfaden reißt.

Von Himmelfahrt bis Pfingsten sind es 10 Tage. Wie fühlt sich erfülltes Warten an? Dankbar, aufmerksam, gelassen, heiter…

Ich wünsche Ihnen, dass auch das Warten Schönes für Sie bereithält.

Druckversion

Ruhe finden

Ein gutes Wort für die Woche.
27.02.2023 Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim-Bissingen

Beim Stöbern in alten Fotos entdecke ich Bilder, die ich auf einer Reise vor ziemlich genau acht Jahren beim Sonnenaufgang gemacht habe. Die Erinnerungen sind sofort da und verbinden sich mit der faszinierenden Ruhe eines herrlichen Sonntagmorgens. Bei Dunkelheit waren wir aufgebrochen, um rechtzeitig vor Tagesanbruch an einer Aussichtsplattform zu sein und dann zu erleben, wie in kurzer Zeit die Dunkelheit weicht und mit dem Zunehmen des Lichts die Konturen einer weiten Landschaft aus der Dämmerung heraus sichtbar werden.

Der Himmel war wolkenlos. Von Osten her schickte die Sonne ihr Licht voraus bis sie schliesslich ganz zu sehen war. Fasziniert erlebten wir das wunderbare Schauspiel, sprachen nur wenige Worte zueinander, um die Stille nicht zu stören.

„Morning has broken…“ – „Morgenlicht leuchtet…“
Die Melodie des bekannten Liedes kommt beim Betrachten der Bilder wie von innen. Ruhe finden.

*

Mit dem Aschermittwoch hat die Fastenzeit, die Passionszeit begonnen. Der Lärm der närrischen Tage ist verklungen, und ich spüre mein Bedürfnis nach Ruhe. Nicht nach körperlicher Ruhe. Ich bin nicht müde. Es ist eher das Bedürfnis offen sein zu können für etwas, das keine Nachricht enthält, kein Hingucker ist, mich eher als Impuls aus einer verborgenen Wirklichkeit anspricht. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf:

  • Ende Februar, Anfang März… Der Winter ist auf dem Rückzug. Gibt es schon eine Art Bilanz?
  • Der 3. März ist der Internationale Tag des freien Sonntags. Hat das noch eine Bedeutung? Welche?
  • Der 3. März ist auch der erste Freitag im März, an dem wieder Menschen in mehr als 150 Ländern zum Weltgebetstag der Frauen zusammenkommen. Ein Gebet wandert über 24 Stunden um den Erdball … und verbindet Menschen über alle Grenzen hinweg. Dieses Jahr haben Frauen aus Taiwan die Liturgie für den Gottesdienst vorbereitet.

Ich brauche Ruhe, um nachdenken zu können und um das verdauen und verarbeiten zu können, was mich beschäftigt, was mir einfällt und auffällt. Ich brauche Ruhe, und es ist schön, die Ruhe auszuhalten, wenn sie sich – manchmal unerwartet und unverhofft – einstellt. Mein Motto für die Fastenzeit: Ruhe finden! Und ich meine nicht, dass ich in Ruhe gelassen werden will, eher schon Ruhe finden, um gelassen zu werden.

Wie halten Sie es mit der Religion?

Die Nationale Versammlung der Bahaì in den USA hat ihn einst initiiert, den WORLD RELIGION DAY, immer am 3. Sonntag im Januar, erstmals 1950. Inzwischen wird er auch über die USA hinaus wahrgenommen. Das Mühlacker Tagblatt hat am Samstag, 22. Januar eine kleine Umfrage von Volker Henkel veröffentlicht, für die ich mit anderen zusammen angefragt wurde. Aus den eingereichten Antworten auf sechs Fragen hat die Redaktion jeweils ein kurzes Statement ausgewählt.

Umfrage Mühlacker Tagblatt 22.01.22: Wie halten Sie es mit der Religion?

Meine Antworten auf die Fragen im Ganzen:

  1. Welche Gedanken haben Sie, wenn Sie Religion hören?

Erst einmal bin ich neugierig, worum es geht. Religion kann voller Schönheit, Spiritualität, Liebe, Hingabe, Selbstvergessenheit sein. Sie kann sich auch negativ zeigen in Ideologie, Dogmatismus, Intoleranz.

  • Welche Erfahrungen haben Sie mit Religion gemacht?

Da ist meine eigene Lebensgeschichte, die sich ohne „Religion“ gar nicht erzählen lässt. Da sind aber auch viele interessante und schöne Begegnungen mit Menschen anderer Religionen, anderen Glaubens, anderer Konfession. Wo eine Offenheit füreinander besteht, auch für Fremdes, können Begegnungen sehr bereichernd sein.

  •  Was wünschen Sie sich von einer Religion?

Ich weiß nicht, ob man sich von einer Religion etwas wünschen kann. Man kann sich von Gott etwas wünschen, vom Leben etwas erhoffen. Aber von einer Religion etwas wünschen? Ich wünsche mir, dass Religion mich nicht bedroht, sondern weiterbringt. Aber eine Wunschreligion wünsche ich mir nicht. Religion sollte mir einen Weg eröffnen, der vielleicht sogar unbequem sein kann.

  • Was können Vor- und Nachteile einer Religion sein?

Schwierige Frage. Es kann sehr hilfreich sein, mit anderen seinen Glauben zu teilen, gemeinsam einen Weg aus Überzeugung zu gehen. Religion stiftet Gemeinschaft. Das kann im Einzelfall aber auch bedeuten, dass es eng wird, statt weit, dass man gemeinsam auf einen Weg gerät, der nicht weiterführt, dass man die Augen verschließt vor Dingen, die man nicht sehen oder wahrhaben will.

  • Wie wird Ihrer Meinung nach Religion bei uns in Deutschland gelebt?

Oft sehr oberflächlich. Man erwartet von Gott, dass man beschützt, behütet gut durchs Leben kommt und möchte im Übrigen von ihm in Ruhe gelassen werden. Zugleich spüren wir deutlich, dass wir übergriffig sind gegenüber der Natur und den Generationen nach uns ein Erbe hinterlassen, für das wir nicht gerade stehen können. Kann die Menschheit sich selbst retten?

  • Wie sollte Religion gelebt werden und wie lebst Du sie?

Zur Religion gehören Ehrlichkeit und eine Antwort auf die Frage, wofür ich dieses einzige und einmalige Leben einsetzen möchte, das mir geschenkt ist. Ich glaube nicht, dass wir auf der Welt sind, um es bequem und schön zu haben, sondern um unseren Beitrag zum Guten zu geben. Deshalb engagiere ich mich an verschiedenen Stellen, bin aktiv in meiner Kirche und versuche im Rhythmus von Sonntag und Werktag, Gottesdienst und Alltag präsent zu sein.

Rückblick – Januar 2000

Amtsblatt Markgröninger Nachrichten zum 2. Sonntag nach Epiphanias, 16.01.2000

Wochenspruch:     Das Gesetz ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. Johannes 1,17

Liebe Leserinnen und Leser,

„Aber eins ist wahr: / dass das neue Jahr / mal ein altes Jahr / werden wird und gar / ein sehr altes Jahr,…“ So heißt es in dem Gedicht „Neujahrsbedenken“ von Hans Scheibner.

In der Tat, Mitte Januar hat das Neue Jahr schon seinen ersten Glanz verloren und ist der Alltag eingekehrt. Trotzdem: Ihnen allen einen herzlichen Gruß zum Jahr 2000 und dass es ein gutes Jahr für Sie werde, für unsere Stadt und auch für unsere Kirchengemeinde!

Die kirchlichen Nachrichten beginnen wieder mit den Wochensprüchen zur kommenden Woche. Das soll also bleiben im Jahr 2000, dass ein Bibelvers vorangestellt wird und wir uns um sein Verständnis mühen.

„Das Gesetz ist durch Mose gegeben…“ Das wird im Johannesevangelium als eine große Errungenschaft angesehen und ist es auch. Bei all den Rückblicken auf das Jahr 1999, auf das Jahrhundert und die Jahrtausende war diese Errungenschaft wohl kaum genannt und wäre doch der Erwähnung wert gewesen: „Das Gesetz ist durch Mose gegeben…“, die 10 Gebote also und das Gebot, den Nächsten zu lieben, und all die anderen Gebote und Gesetze, die sich davon ableiten. Die Menschheit wäre nicht sehr weit gekommen, hätte statt der Gebote das Recht des Stärkeren regiert.

„Die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“ Das gilt im Johannesevangelium als die noch größere Errungenschaft, und die Geschichten, die das Johannesevangelium erzählt, verdeutlichen dies: Wasser wird zu Wein, der Gelähmte steht auf, der Blinde sieht das Licht, die Ehebrecherin wird freigesprochen, … Die Gnade und Wahrheit – das ist das Unerwartete, was man kaum zu hoffen gewagt hätte, was einem vielleicht die Tränen in die Augen treibt. Mög‘ das Neue Jahr davon etwas bringen, dass wir ein Lied davon singen können: amazing grace, how sweet the sound…                        Ihr Pfarrer Traugott Plieninger

Gelassenheit

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit dieser Ausgabe der Markgröninger Nachrichten verabschiede ich mich auch von Ihnen als treue oder gelegentliche Leserinnen und Leser dieser Spalte. Einer, der mir immer wieder etwas zu sagen hatte, ist und war der Philosoph und Mystiker Meister Eckhardt, einer der großen Denker des Mittelalters. Seine Lebensdaten (1260-1328) fallen genau mit der Bauzeit unserer Bartholomäuskirche zusammen. Sein großes Thema war Gelassenheit. Einen seiner Sätze habe ich mir so in den Kalender geschrieben, dass ich von Zeit zu Zeit daran erinnert werde:

Darum fange bei dir selbst an und lass dich.

Je mehr die Menschen nach außen gehen, umso weniger finden sie Frieden. Sie gehen wie jemand, der den Weg nicht findet. Je weiter er geht, umso mehr verirrt er sich. Was soll er also tun? Er soll sich selbst erst einmal lassen, dann hat er alles gelassen.

Die Worte haben in 750 Jahren nichts von Ihrer Bedeutung verloren. Im Gegenteil, sie scheinen so zutreffend wie nie zuvor. – „Je mehr die Menschen nach außen gehen, umso weniger finden sie Frieden.“

Es kommt mir vor, als wäre unserer Epoche die Mitte abhandengekommen und es gähnte im Innern eine große Leere, die sich schwer füllen lässt. Der Rat des Meisters: Gelassenheit. Er rät bei sich selbst anzufangen und sich zu lassen. Merkwürdig, denke ich, dass ein erfülltes Leben mit Gelassenheit zusammenhängt, damit, lassen zu können und sich lassen zu können, auch loslassen zu können. Es ist eine Übung, kein Besitz, das Lassen und Loslassen. Wir müssen es immer wieder von neuem lernen zur Gelassenheit zu kommen. Am ehesten kommen wir zur Gelassenheit durch Gebet. Gebet und Schwimmen sind sich darin ähnlich, dass man den festen Boden unter den Füßen verlassen muss, sich nicht festhalten darf und nur durch Loslassen vorwärtskommt. Wer schwimmt, hat das Ufer vor Augen, die/der Betende Gott.

Ihr Pfarrer Traugott Plieninger

[Amtsblatt Markgröninger Nachrichten 07.07.2017 | Evangelische Kirchengemeinde Markgröningen]

ZEITUMSTELLUNG IM OKTOBER

Der letzte Sonntag im Oktober hat wieder 25 Stunden, und wir sind schnell dabei zu sagen, wir hätten dann mehr Zeit. Was aber ist mehr Zeit? Mehr Sonntag? Mehr Zeit zum Ausschlafen? Mehr Zeit zum Frühstücken? Mehr freie Zeit? Mehr Zeit für die Familie, Kinder, Eltern, Verwandte, mehr Zeit ein Buch zu lesen oder einen Spaziergang zu machen? Eine Stunde „mehr Zeit“ ist auf einmal wieder wenig, sehr wenig, hätten wir das doch gerne viel öfter: eine Stunde ungeplante, ja unverplante Zeit.

6327582906_e3348c3dae_oMir kommen die beiden Reisen in der Erinnerung, die ich in die Wüste Sahara mitmachen durfte, wo wir die Tage nicht vom Wecker-Klingeln bis zu den Tagesthemen, sondern von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang erlebt haben, wo wir keine Uhren gebraucht haben, sondern Tag und Nacht sehr ursprünglich erlebt haben. Eine Stunde mehr am Tag hätte sich von unserer Reisegruppe gar niemand gewünscht. Wir hatten  einfach das Gefühl, dass die Zeit nicht an uns vorbeiläuft oder uns gar davonläuft, sondern dass wir im Rhythmus der Zeit mitgehen. Solche Erfahrungen sind wichtig, und man muss nicht unbedingt in die Wüste reisen, um sie machen. Freilich: aus dem Alltag heraustreten muss man schon.

Der Designer Scott Thrift hat eine neue Uhr entwickelt, die „Today-Clock“ oder „Heute-Uhr“. Sie hat ein rundes Zifferblatt ohne weitere Einteilungen, nur sanfte Übergänge, keine Zahlen. Und sie hat keine zwei, sondern nur einen Zeiger, der 24 Stunden braucht, um einmal durchs Zifferblatt zu gehen. Stunden, halbe Stunden, Viertelstunden oder gar Minuten werden nicht angezeigt, nur der Fluss der Zeit bildet sich auf dieser Uhr ab. „Modischer Schnickschnack“, werden manche sagen, „eine schöne Idee“ die andern. Dass an einer Uhr experimentiert wird, zeigt, dass wir mit unserer Zeiteinteilung noch nicht eins geworden sind. Die eine Stunde, um die der Sonntag sich verlängert, ist geschenkte Zeit. Das gilt aber auch schon für die andern 24 Stunden. Alle Zeit ist geschenkte Zeit. Lassen wir uns einfach von der zusätzlichen Stunde daran erinnern, dass die Zeit ein kostbares Geschenk ist, ein Geschenk des Himmels.  Ihr Pfr. Traugott Plieninger