Verstanden
I
Habe ich in der Schule
wirklich verstanden,
was ich verstanden habe,
oder meinte,
verstanden zu haben?
Habe ich damals verstanden,
dass das Verstehen
nie an ein Ende kommt?
Besser verstehen,
tiefer verstehen,
anders verstehen
neu verstehen
lernt man nicht im Fächerkanon
der Schule.
II
Bei der Demo
habe ich nichts verstanden.
Aber ich habe verstanden,
dass ich dabei sein muss,
weil ich verstanden habe,
dass die, die etwas verstanden haben,
denen entgegentreten müssen,
die nichts verstanden haben.
III
Die Predigt habe ich nicht verstanden,
obwohl ich sie verstanden habe.
Vielleicht habe ich etwas davon verstanden.
Aber kommt es überhaupt darauf an,
dass ich verstanden habe?
Kommt es nicht mehr darauf an,
dass ich dabei war, wo es darum ging etwas zu verstehen, zu feiern, zu festigen:
Gemeinschaft der Hörenden, Fragenden, Suchenden, Glaubenden, Hoffenden
… nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe
Unverstanden
I
Unverstanden
das Heimweh der Kinder bei der Klassenfahrt,
das Heimweh der Geflüchteten nach der Heimat, die sie verlassen mussten,
das Heimweh nach dem Klang der Sprache der Mutter, der Muttersprache,
das Heimweh der Frauen und Männer im Pflegeheim
nach der fernen Heimat aus Kindertagen,
das Heimweh überhaupt.
…was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.
(Ernst Bloch)
II
Unverstanden
die Angst vor Dunkelheit,
die Angst vor Einsamkeit,
die Angst vor Krankheit,
die Angst vor dem Sterben,
dem Tod,
die Angst vor der Angst,
vor dem Nichts.
III
Unverstanden
die Sehnsucht nach Anerkennung,
die Sehnsucht nach Freiheit, Glück,
die Sehnsucht nach einem Leben ohne Schmerzen, ohne Sorgen, ohne Angst.
IV
Unverstanden
die Sprache der Delphine,
der Gesang der Vögel,
die Träume aller Lebewesen
vom Leben ohne Schmerz,
Unverstanden – der Mensch
verständnisvoll, verständnislos.