Freundschaft – unfertige Gedanken

Das Wort für die Woche vom 3.-9. Juni 2024

Ja, es sind Wahlen am kommenden Sonntag, Wahlen zum Europa-Parlament, zum Stadtrat, zum Kreistag, zur Regionalversammlung. Selbstverständlich werde ich meine Stimme abgeben, selbstverständlich ist es mir nicht gleichgültig, wer und was gewählt wird, selbstverständlich bin ich dankbar, dass Frauen und Männer bereit waren, sich aufstellen zu lassen und bereit sind, im Falle der Wahl ein Mandat zu übernehmen.

Wahlen sind wichtig, überhaupt freie Wahlen, keine Scheinwahlen, bei denen irgendein Ergebnis im Voraus feststeht.

Wenn ich aber nun etwas von Freundschaft sagen möchte, dann deshalb, weil Wahlen wohl wichtig sind, aber nicht alles. Freunde wählen wir nicht aus. Freundschaften werden uns geschenkt. Es gibt alte Freundschaften aus Kindertagen oder der Schulzeit, die andauern und längst eine Geschichte haben. Es gibt neue Freundschaften, aus irgendeinem Anlass entstanden, unverhofft vielleicht und die dennoch wertvoll sind. Freundschaft, bis man sich dann doch wieder aus den Augen verliert.

Freundschaften können wachsen wie ein Baum, können stark werden wie dieser Olivenbaum, den mir vor wenigen Tagen einer gezeigt hat, der mir in kurzer Zeit ein Freund geworden ist. Man erkennt beim genauen Hinsehen den gewaltigen Stamm in der Mitte, ahnt die Wurzel, die dieses monumentale Gewächs trägt, sieht im Geist die Oliven, die in ungezählter Menge heranreifen, die Ernte, aus der man das kostbare Öl gewinnt. Was war es, das diesen Baum so stark hat werden lassen?

Ich denke an Freunde, die nicht mehr da sind, Todesanzeigen in meinem Album, Erinnerungen an Stationen der Freundschaft, gemeinsam Erlebtes, das keine Fortsetzung mehr haben wird. Eines Tages werde ich ihnen folgen, wenn mein Weg zu Ende gegangen ist. Bis dahin wird mir die Freundschaft am Herzen liegen und zugleich Grund großer Dankbarkeit sein.

Am Sonntag aber werde ich zur Wahl gehen und meine Stimme abgeben. Auch da spielt Vertrauen eine Rolle und, wie bei der Freundschaft, ist es auch hier ein Nehmen und ein Geben. Die Stimmabgabe ist nicht der Preis, den ich zahle, um eine Leistung zu erhalten, sondern eine Vertrauensbekundung für die Gewählten. Demokratie ist kein Schnäppchen, sie funktioniert – wie die Freundschaft – nur mit Vertrauen und im Miteinander.

Veröffentlicht von

TPlieninger

Pfarrer, ev., im Ruhestand