SINN und ZUFRIEDENHEIT

Das Wort für die Woche vom 30. September – 6. Oktober 2024 von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

Neulich habe ich es mir aus dem Regal geholt, das 1962 erschienene Bändchen mit gesammelten Schriften von Antoine de Saint-Exupéry, Dem Leben einen Sinn geben. Es schien mir an der Zeit, es wieder einmal zu Hand zu nehmen. Darin enthalten ist der Brief an einen General, den er im Juli 1943 geschrieben hat und der 1948 posthum veröffentlicht wurde. Dort heißt es an einer Stelle:

„Ach, Herr General, es gibt nur ein Problem, ein einziges in der Welt. Wie kann man den Menschen eine geistige Bedeutung, eine geistige Unruhe wiedergeben; etwas auf sie herniedertauen lassen, was einem Gregorianischen Gesang gleicht!… Sehn Sie, man kann nicht mehr leben von Eisschränken, von Politik, von Bilanzen und Kreuzworträtseln. Man kann es nicht mehr. Man kann nicht mehr leben ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe…“

Heute würde er anderes aufzählen, vielleicht: Man kann nicht mehr leben von Nachrichten, Umfragen und Talkshows, von Online und Offline, KI, Tiktok und Facebook, obwohl unsere Gesellschaft und wir einzelnen längst süchtig danach geworden sind und spüren zugleich: Es stillt unsere Sehnsucht nach Leben nicht, womit wir uns beschäftigen, unterhalten oder zerstreuen lassen, aber wir können anscheinend auch nicht ohne das alles auskommen. Ist es die Unzufriedenheit, die unser Leben in Gang hält?

Was macht uns zufrieden? Sicher nicht die Ohnmacht, die wir empfinden, wenn wir tagtäglich durch die Medien an Abgründe und vor Situationen geführt werden, auf die wir nicht zu reagieren wissen. Krieg, Zerstörung, Hunger, Flucht. Aber was ist es dann?

Und wie lange hält ein Stück Zufriedenheit? Was gibt uns Halt, wenn die Zufriedenheit schwindet? Goethe lässt eine seiner Figuren im Wilhelm Meister sagen:

„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.“

»Auftanken«, sagen wir heute, »seinen Kompass ausrichten«, »sich sammeln«, »sich besinnen«, – was für ein Wort!

„Alle Tage wenigstens…“ seinen Rhythmus finden, seinen Halt suchen und wissen, wo er zu finden ist. Letzten Endes hängt unsere Zufriedenheit mit dem Sinn zusammen, den wir für unser Leben und unseren Alltag gefunden haben: für etwas oder für jemand da sein zu können, wie es der Predigttext des zurückliegenden Sonntags sagt: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die empfangen hat. 1. Petr. 4,10. Es ist sicherlich ganz praktisch gemeint.

Ebbe und Flut

Das Wort für die Woche vom 26. August – 1. September 2024

Nur einen Tag waren wir an der Küste, Nordseeluft atmen. Das Wetter war wunderbar! Als wir am späteren Vormittag das Meer sahen, war es weit weg: Ebbe. Nordseeluft gibt es auch bei Ebbe.Einige sind im Watt gewandert, andere haben Drachen steigen lassen, die Möwen haben die Menschen beobachtet und die Menschen die Möwen. Alles entspannt, keine Hektik. Ebbe ist schön. Nachmittags kam das Wasser zurück. Die ersten gingen dem Wasser entgegen. Man hat Zeit genug.

Das ist es, was ich an den Nordseetagen liebe: dass man Zeit genug hat. Auch wenn es nur ein paar Stunden sind: alles fühlt sich leicht an. Ebbe und Flut, ein ewiger Rhythmus. Flut bringt Erfrischung. Aber sie kann auch bedrohlich sein, kann zur Sturmflut werden. Ebbe ist zahm und voller Geheimnisse, aber sie muss der Flut weichen, wenn es Zeit ist.
Ist es nicht eigenartig, dass der Gezeitenrhythmus sein eigenes Gesetz hat, nicht den Wechsel von Tag und Nacht, sondern versetzt. Zweimal am Tag kommt die Flut, zweimal fließt das Wasser wieder ab. Man kann es nicht beschleunigen und nicht verlangsamen, man kann es sich nicht passend machen. Wie schön! Etwas, was sich der Menschenmacht entzieht und uns Menschen gerade dadurch gut tut und uns beglückt. Es ist, als würden Land und Meer einatmen und ausatmen, sich gegenseitig Raum geben, miteinander spielen, Tag und Nacht, jahrein, jahraus. Gut gemacht, Gott, schön geworden! möchte ich sagen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche in einem guten Rhythmus, Freude am Leben!

Brot

Das Wort für die Woche vom 15.-21. Juli 2024
Foto: TPlieninger, Wadi Rum, Jordanien

Viel Steine gab’s und wenig Brot heißt es in Uhlands berühmten Gedicht vom wackren Schwaben.In der Tat, so berichtet es auch die biblische Geschichte von der 40jährigen Wanderschaft der Israeliten durch die Wüste in ein fernes gelobtes Land…Sie sahen nichts davon, hatten Hunger und rebellierten gegen Mose, ihren Anführer. Was nützt die ganze Freiheit, wenn kein Brot da ist und der Hungertod droht? Was dann erzählt wird, ist die Geschichte vom Manna und den Wachteln (2. Mose 16). Gott lässt sein Volk, das er in die Freiheit geführt hat, nicht verhungern.

Freilich, nicht immer geht die Geschichte mit einem Wunder weiter. Millionen Menschen sind in unseren Tagen weltweit auf der Flucht, viele treibt der Hunger, vielen droht das Verderben. Das UNHCR, Hilfswerk der Vereinten Nationen, kämpft dagegen an, bittet um Spenden. Brot für die Welt, Misereor und wie die Hilfswerke alle heißen – die Not scheint schneller zu wachsen als ausreichende Hilfe.

Die Bibel kennt viele Geschichten rund ums Brot, darunter die Geschichten, in denen das wenige, was da ist, unter vielen geteilt wird: 5 Brote und 2 Fische, 5000 werden satt. Jesus lehrt uns bitten Unser tägliches Brot gib uns heute… und im gemeinsamen Essen schenkt er sich selbst: nehmt und esst, das ist mein Leib.

Freilich, nicht jedes Stück Brot, das wir essen, muss eine Meditation sein. Nicht jedes Mal müssen wir bewusst unserer Dankbarkeit Ausdruck geben. Das kann sonst auch zwanghaft werden. Aber von Zeit zu Zeit tut es uns gut, das selbstverständlich Gewordene nicht selbstverständlich zu nehmen. Brot wegzuwerfen oder verderben zu lassen, galt meiner Großmutter noch als Sünde. Ein Stück Brot genießen, es kann fast ein Gebet sein.

Unsere Generation hierzulande kennt den Hunger nur noch vom Erzählen und macht sich mehr Gedanken, was gutes, gesundes Essen ist, woher es kommt, unter welchen Bedingungen es produziert wurde, derweil es die kleinen Bäckereien längst nicht mehr gibt, in denen das Brot für eine Nachbarschaft gebacken wurde, Schwarzbrot, Weißbrot, Brezeln und Hefezopf.

Wer aber weiß, welche Wege wir in unserer Zeit noch geführt werden, welche Durststrecken noch auf uns warten, welcher Hunger uns noch zu schaffen machen wird und welcher Wunder wir noch bedürfen. Brot ist immer ein Geschenk, auch wenn man dafür arbeitet und es sich verdient.

Freundschaft – unfertige Gedanken

Das Wort für die Woche vom 3.-9. Juni 2024

Ja, es sind Wahlen am kommenden Sonntag, Wahlen zum Europa-Parlament, zum Stadtrat, zum Kreistag, zur Regionalversammlung. Selbstverständlich werde ich meine Stimme abgeben, selbstverständlich ist es mir nicht gleichgültig, wer und was gewählt wird, selbstverständlich bin ich dankbar, dass Frauen und Männer bereit waren, sich aufstellen zu lassen und bereit sind, im Falle der Wahl ein Mandat zu übernehmen.

Wahlen sind wichtig, überhaupt freie Wahlen, keine Scheinwahlen, bei denen irgendein Ergebnis im Voraus feststeht.

Wenn ich aber nun etwas von Freundschaft sagen möchte, dann deshalb, weil Wahlen wohl wichtig sind, aber nicht alles. Freunde wählen wir nicht aus. Freundschaften werden uns geschenkt. Es gibt alte Freundschaften aus Kindertagen oder der Schulzeit, die andauern und längst eine Geschichte haben. Es gibt neue Freundschaften, aus irgendeinem Anlass entstanden, unverhofft vielleicht und die dennoch wertvoll sind. Freundschaft, bis man sich dann doch wieder aus den Augen verliert.

Freundschaften können wachsen wie ein Baum, können stark werden wie dieser Olivenbaum, den mir vor wenigen Tagen einer gezeigt hat, der mir in kurzer Zeit ein Freund geworden ist. Man erkennt beim genauen Hinsehen den gewaltigen Stamm in der Mitte, ahnt die Wurzel, die dieses monumentale Gewächs trägt, sieht im Geist die Oliven, die in ungezählter Menge heranreifen, die Ernte, aus der man das kostbare Öl gewinnt. Was war es, das diesen Baum so stark hat werden lassen?

Ich denke an Freunde, die nicht mehr da sind, Todesanzeigen in meinem Album, Erinnerungen an Stationen der Freundschaft, gemeinsam Erlebtes, das keine Fortsetzung mehr haben wird. Eines Tages werde ich ihnen folgen, wenn mein Weg zu Ende gegangen ist. Bis dahin wird mir die Freundschaft am Herzen liegen und zugleich Grund großer Dankbarkeit sein.

Am Sonntag aber werde ich zur Wahl gehen und meine Stimme abgeben. Auch da spielt Vertrauen eine Rolle und, wie bei der Freundschaft, ist es auch hier ein Nehmen und ein Geben. Die Stimmabgabe ist nicht der Preis, den ich zahle, um eine Leistung zu erhalten, sondern eine Vertrauensbekundung für die Gewählten. Demokratie ist kein Schnäppchen, sie funktioniert – wie die Freundschaft – nur mit Vertrauen und im Miteinander.

Alles hat (keine) seine Zeit

Das Wort für die Woche – 29. Januar 2024
ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim

Eine komplizierte Sache scheint es mit der Zeit zu sein, wie die astronomischen Uhren beweisen. Vielleicht ist es aber auch ganz einfach. Das Stundenglas, die Sanduhr, zeigt schlicht, wie die Zeit verrinnt. Es gibt viele Arten von Uhren, sündhaft teure Uhren, billige Massenware, modische Uhren, antike Uhren, Je mehr Uhren, desto weniger Zeit, will mir scheinen.

Mittlerweile sind wir schon einen ganzen Monat weit im Neuen Jahr vorangekommen. Die Lokführer streiken – wie andere schon vor ihnen – für kürzere Arbeitszeit. Was macht man mit der Zeit, die man weniger arbeitet? Ist Zeit, in der man nicht arbeitet, qualitätvoller? Oder geht es um etwas ganz anderes, um Anerkennung, um Zufriedenheit, um Resonanz, um Sinn? Was ist nur aus dem Kindertraum vom Beruf des Lokführers geworden? An Jim Knopf sei erinnert und Lukas den Lokomotivführer! Auch an Momo, die die Menschen erlöst von den Zeitdieben, die versprechen, sie würden die eingesparte Zeit auf eine Zeitsparkasse bringen. Stattdessen vernichten sie die Zeit, die die Menschen einsparen und Momo muss zu Meister Hora, dem Herrn der Zeit, um die gehetzte Menschheit zu erlösen, die immer mehr Zeit spart und immer weniger Zeit hat.

Alles hat seine Zeit, heißt der bekannte Text im Alten Testament, Buch des Predigers: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit … Es ist interessant, welche Wortpaare in diesem uralten Text aufgezählt sind und welche Wortpaare wir heute in diese Reihe einordnen würden. Vielleicht das: Arbeiten hat seine Zeit, nicht arbeiten müssen hat seine Zeit, verwirklichen hat seine Zeit, träumen hat seine Zeit, handeln hat seine Zeit, abwarten hat seine Zeit…

Geschenkte Zeit, vertane Zeit, erfüllte Zeit, verlorene Zeit, gewonnene Zeit. Noch immer faszinieren die Mönchsorden, die die Zeit eingeteilt haben durch Stundengebete, Arbeitszeiten und Zeiten des Lesens. Erstaunliches haben sie hinterlassen, nicht als Individuen, sondern in gemeinschaftlichem Befolgen der Regel. Von ihnen könnten wir im Umgang mit der Zeit immer noch lernen.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit!

Heal the world

Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim – Wort zur Woche, 51. KW 2023

Unvergesslich für mich ist die Christmette 1999, für die wir mit unserer Band das Lied von Michael Jackson einstudiert hatten: Heal the world, make it a better place for you and for me and the entire human race…[1] Das Lied war ein Welthit, 1992 erschienen, als es noch fast kein Internet und noch lange keine Smartphones gab, kein Facebook, Instagram und Tiktok, kein YouTube, als man das Jahr 2000 im Blick hatte mit manchen Befürchtungen, aber vor allem mit großen Erwartungen und Hoffnungen nicht nur für ein neues Jahrhundert, sondern für Beginn einer neuen Menschheitsepoche. Heal the world hat uns aus dem Herzen gesprochen und die Herzen berührt. Es wurde für Generationen, die kommen sollten, gesungen, für Kinder in einer Welt ohne Krieg, voller Glückseligkeit, Traum und einem Leben ohne Angst. Freudentränen kamen vor.

Das Lied berührt mich immer noch, auch wenn mir heute das Adventslied von Jochen Klepper eher in die Zeit passen will: Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.

Die erste Strophe drückt Hoffnung aus, Ruhe, gibt ehrlichen Trost: …auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein. In den nächsten Strophen wird die Weihnachtsgeschichte gedeutet. Die Nacht ist schon im Schwinden, macht Euch zum Stalle auf. An der vierten Strophe bleibe ich hängen: Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und Schuld…

Weiter als bis zu dieser Zeile komme ich gerade gar nicht und kann es nicht fassen, was in dieser Welt und um uns herum geschieht. Die Welt ist wirklich nicht besser geworden seit dem Jahr 2000, ist die alte Welt geblieben, aber sie hat sich sehr verändert, und sie ist immer noch und weiterhin voller Menschenleid und Schuld.

Heal the world, make it a better place… Könnte man das Lied noch singen? Wir spüren ja, dass so vieles schon verloren ist, was wir nicht wiedergewinnen werden. Wir wissen zugleich, dass wir nicht weitermachen können wie bisher, wie wir es gewohnt sind. Ich lese doch weiter bei Jochen Klepper, 1937, sein Gedichtbändchen hieß Kyrie: doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld… Und dann, zum Schluss: Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt… Weihnachten 2023 – Fürchtet Euch nicht!


[1] … macht die Welt heil, macht sie zu einem besseren Ort für Dich, für mich, für alle Menschen…

November-Gedenktage

Das Wort für die Woche von Pfarrer i.R. Traugott Plieninger, Bissingen 5.-12.11.2023

Mit der Erinnerung an Luthers Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517, dem Vorabend des Allerheiligenfestes am 1. November, hat für mich der November begonnen. Die Kinder haben an der Tür geklingelt und zu Halloween Süßes gefordert. Rasch habe ich gesucht, womit ich ihnen eine Freude machen kann, und dabei an all die Kinder gedacht, denen das Leben in diesen Tagen nur Bitteres beschert.

Dann der 9. November: Nie hätte ich mir ausmalen mögen, dass noch einmal der Antisemitismus als Gespenst erscheint und sich breit macht. Heruntergerissene Israel-Flaggen, Schmierereien an Synagogen, Angst der Jüdinnen und Juden, sich als solche zu erkennen zu geben. In einer Zeit, in der das Kopftuch muslimischer Mädchen und Frauen längst selbstverständlich zum Straßenbild dazugehört, trauen sich jüdische Männer nicht mehr mit der Kipa auf die Straße und möchten als Juden lieber unerkannt bleiben. Bedenken wir es: Vor 85 Jahren brannten in Deutschland die Synagogen, waren jüdische Mitbürger samt Hab und Gut an Leib und Leben bedroht. Mehrere Hundert wurden schon damals ermordet oder verschleppt, deportiert, andere nahmen sich das Leben. Und es war nur eine Vorstufe zum Holocaust, dem Schlimmsten, was jemals Menschen Menschen angetan haben.

Alles andere Gedenken, was auf den 9. November fällt, soll nicht vergessen sein! Wie werden wir dieses Jahr diesen Tag erleben? Das PKC Freudental lädt auf 10. November, 17 Uhr, zu einer Gedenkveranstaltung an der ehemaligen Synagoge ein. Vielleicht können Sie es einrichten, dabei zu sein.

Am 11.11. ist Martinstag und Gedenktag an den, der den Mantel geteilt hat. Es ist auch der Tag des Waffenstillstands am Ende des 1. Weltkriegs und ja, das auch, der Auftakt zur Karnevalsaison, wem immer nach Karneval in diesen Zeiten zumute sein mag.

Der 11.11. ist für die Schneller-Schulen im Libanon und in Jordanien ein besonderer Gedenktag. Am 11.11. 1860, also vor 163 Jahren, kehrte Johann Ludwig Schneller, ein Schwabe aus Erpfingen im Dienst der Pilgermission St. Chrischona, mit 10 Kriegswaisen zurück nach Jerusalem und nahm sie auf in sein Haus.

Die Nachrichten vom drusisch-maronitischen Krieg hatten ihn nicht in Ruhe gelassen, so dass er aufgebrochen ist, um zu sehen, was er tun könne. Aus diesem humanitären Akt eines einzelnen Mannes ist das Syrische Waisenhaus in Jerusalem entstanden, und aus dem Syrischen Waisenhaus sind dann die beiden bis heute existierenden Schneller-Schulen in Khirbet Qanafar im Libanon und in Amman, Jordanien, hervorgegangen. Dort betreibt man Friedens-Erziehung, Peace-Education. Kinder verschiedener Religion, verschiedener Herkunft, verschiedener sozialer Schichten lernen zusammen, und sie lernen vor allem zusammen zu leben, sich zu respektieren. Sie feiern die christlichen Feste, die muslimischen Feste, sie werden mit ihrer Religion ernst genommen, aber es gibt keine muslimischen oder christlichen Klassen, keine Chance für Diskriminierung.

Mit dem Direktor der Johann-Ludwig-Schneller-Schule im Libanon, bin ich immer wieder im Austausch. Zuletzt schrieb er mir:

Wenn Du erfährst, welch furchtbare Dinge religiöse Fanatiker anrichten, dann wird Dir bewusst, dass das, was wir in den Schneller-Schulen machen, das ist, was die Welt, besonders unsere Region, wirklich braucht, um Extremismus zu bekämpfen und für Frieden tätig zu sein.

Freiheit

Wort der Woche von Pfarrer i.R. Traugott Plieninger

Ich habe eine Weile gesucht, bis mir ein Bild für Freiheit gefallen hat. Nicht die Freiheitsstatue. Es ein Bild von der Ostsee geworden. Sommerwetter, ein paar Wölkchen am Himmel, tiefblaues ruhiges Wasser, ein Segelboot, am Horizont ein größeres Ausflugsschiff. Freiheit ist auch ein Gefühl: frei sein, die Freiheit genießen, ungestört sein, Weite erleben, zur Ruhe kommen.

Wir sagen Freizeit, Freiraum, gehen ins Freie. Freiheit ist ein Grundbedürfnis all dessen, was lebt. Menschen, Tiere, selbst Pflanzen benötigen Freiheit, Freiraum, um sich entfalten zu können.

Sind wir freiheitsliebenden Menschen selbst frei, freie Menschen? Welche Freiheit steht uns zu? Ist mit Freiheit Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Willensfreiheit, Versammlungsfreiheit, Wahlfreiheit gemeint?

Haben wir wirklich die Wahl? Wir können uns unsere Eltern nicht aussuchen, auch nicht den Ort, wo wir geboren werden und nicht die Zeit, in der wir zur Welt kommen. Wir suchen uns unsere Gene nicht aus und sind mit unserem Körper unterwegs, der vollkommen, aber nicht perfekt ist. Täglich stoßen wir an Grenzen und fühlen uns oft nicht frei, sondern eingeengt, befangen. Wie frei sind wir wirklich? Selbst über den Wolken, wo die Freiheit wohl grenzenlos sein muss, ist sie es nicht. Wer ins Flugzeug steigt, tut es mit dem mulmigen Gefühl eines Menschen, der weiß, dass auch das Fliegen viel zur Schädigung des Klimas beiträgt. Und was ist es mit der freien Marktwirtschaft und der freien Fahrt auf Autobahnen?

Matthias Claudius, Dichter und Schriftsteller, schrieb einst an seinen Sohn Johannes: …und der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll.

Da ist angedeutet, dass uns unsere Freiheit nicht in den Schoß gelegt wird, dass sie anstrengend sein kann. Menschen haben für die Freiheit ihr Leben gelassen, Menschen sitzen für ihre Freiheit und die Freiheit anderer im Gefängnis, in Arbeitslagern und zehren davon, dass sie von uns in Freiheit Lebenden nicht vergessen werden.

Von der Freiheit eines Christenmenschen – hieß eine Schrift Martin Luthers, die die Reformation mit eingeleitet hat. Darin heißt es:


Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Was sind Ihre Gedanken zur Freiheit?

Evang. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim. Wort der Woche 25.9.-1.10.23 Druckversion

Suchen und Finden

Ein gutes Wort für die Woche – Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim (KW 33/2023)


Suchen und finden. Ein Lebensthema. Für die Zeit der Romantik wurde die Sehnsucht und die Suche nach der blauen Blume das Symbol einer ganzen Epoche. „Fernab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn‘ ich mich zu erblicken…“ hatte Novalis geschrieben.


Sehnsucht. Auch das hat mit Suchen zu tun, und mit Finden wollen, vielleicht auch nur ein Bruchstück, ein Fragment finden von dem, wonach wir uns sehnen: nach ein bisschen Glück, nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach Wahrheit, Ehrlichkeit, Anerkennung.

Bittet, so wird euch gegeben, sucht, so werdet ihr finden, klopft an, so wird euch aufgetan, sagt Jesus. Er erweist sich als Schirmherr der Suchenden. Er segnet nicht die, die die Wahrheit besitzen oder schon wissen was recht und gerecht ist, auch nicht die, die sagen »da kannst Du nichts machen; es kommt, wie es kommt…«

Und bedeuten die Worte »sucht, so werdet ihr finden« nicht auch, dass Jesus selbst auf der Suche ist, auf der Suche nach Verbündeten für eine bessere Welt, für das Reich Gottes, für Heil und Gerechtigkeit?!

Wonach suchen wir nicht ständig? Nach dem Autoschlüssel, nach einer Rechnung, die wir weggelegt hatten, nach einem Wort, das uns nicht einfallen will, wonach auch immer; und sind erleichtert, wenn wir das, was wir gesucht haben, schließlich gefunden haben.

Gott segne unser Suchen und Finden und lasse uns von Neuem finden, wenn wir von Neuem suchen. Er segne das Suchen nach Wegen, wo es ausweglos scheint, und segne die Recherche, wo sie der Wahrheit dient. Er segne die Suche nach einem gerechten Urteil, wo Richtende zu richten haben, und begleite die Flüchtenden, die einen Ort suchen, an dem sie willkommen sind, eine neue Heimat. Gott segne unser alltägliches Suchen nach dem, was uns fehlt und woran es fehlt, und schenke uns, dass wir dann und wann etwas finden, wonach wir gar nicht gesucht haben, ein Glück, eine Idee, eine Aufgabe. Gott segne unsere Begegnungen, unsere Bemühungen, unsere Interessen und unser Vertrauen, dass unsere Suche nicht vergeblich ist.

Lob der Pause

In der Musik ist genau definiert, wie lang sie sein muss, die Pause. Es gibt die Viertelpause, es gibt die halbe Pause, einen ganzen Ton Pause oder sogar einen oder mehrere Takte Pause. Nicht kürzer, nicht länger. Aber selbst die kürzeste Pause reicht zum Atemholen.

In der Schule gibt’s die große Pause, die kleine Pause, die 5-Minuten-Pause. Davor und danach ist Unterricht. Pausenlos Unterricht geht gar nicht!

Den Stillstand mögen wir allerdings auch nicht, wenn sich überhaupt nichts bewegt, wenn nichts vorangeht oder am Schluss alles zum Erliegen kommt. Es ist die Pause, die uns guttut und die wir brauchen. Danach geht es weiter!

Das Symbol der Pause ist eine Bank oder ein Snack, eine Tasse Kaffee, bei Wanderungen ein Picknick. Selig, wer sich ein zweites Frühstück genehmigen kann oder dann eine Mittagspause, womöglich eine kleine Siesta.

»…und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen«, sagt Pippi Langstrumpf. Die Pause ist auf alle Fälle frei von jedem Zwang, von jedem »du musst«, und ist eine Erinnerung daran, dass uns Gott nicht geschaffen hat, um etwas zu leisten, sondern um zu leben, zu atmen, zu sehen, zu hören, zu riechen und zu schmecken, schließlich auch um uns oder etwas zu bewegen, etwas zu tun.

Der mich atmen lässt, bist du, lebendiger Gott, /
der mich leben lässt, bist du lebendiger Gott…

Pausen am Tag sind ein Vorgeschmack auf den Feierabend, der Feierabend ein Vorgeschmack auf die Feiertage, den Ruhetag, die Ferien. Ich wünsche Ihnen den rechten Rhythmus für Ihren Alltag, und dass Ihnen die Zeit nicht davonläuft, wenn sie Pause machen.

Wort der Woche,
Ev. Kirchengemeinden Bietigheim-Bissingen
02.07.2023