Predigttext: Jakobus 5,7-8
Übt euch in Geduld, Brüder und Schwestern, bis der Herr wiederkommt! Seht, wie der Bauer auf die köstliche Frucht seines Ackers wartet: Er übt sich in Geduld – so lange, bis Frühregen und Spätregen gefallen sind. So sollt auch ihr euch in Geduld üben und eure Herzen stärken. Das Kommen des Herrn steht nahe bevor.
Predigt
Liebe Gemeinde,
„Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“, so stellt sich der Autor vor, der diesen Brief geschrieben hat. Es hat zu seiner Zeit noch keinen ersten, zweiten, dritten und vierten Advent gegeben. Jakobus wäre wahrscheinlich entsetzt, wenn er hören würde, dass wir von seinem Brief, immerhin 5 Kapitel, nur zwei Verse seiner Schlussbemerkungen als Predigttext bekommen. „Dann lest doch mal den ganzen Brief!“ würde er uns sagen, und wir würden als Leser seines Briefes spüren, dass ihm die Gerechtigkeit ein zentrales Anliegen ist, soziale Gerechtigkeit sagen wir heute, die Armen, die Bedürftigen, und dass man nicht in den Tag hineinlebt, sondern seine Zeit nützt, dass man nicht redet, was einem gerade einfällt, sondern seine Zunge zügeln kann, dass man für die Kranken und mit den Kranken betet und nicht nur sagt: wird schon wieder gut, dass man sich nicht nur seines Glaubens rühmt, sondern seinem Glauben auch Taten folgen lässt. „Der Glaube ohne Werke ist tot“, schreibt er.
Und nun: „Übt euch in Geduld, Brüder und Schwestern, bis der Herr wiederkommt!“
Das ist die große Erwartung der ersten Christen, dass der Herr wiederkommt – und allem Leiden ein Ende setzt, dass er Gerechtigkeit heraufführt, dass er die Seufzenden erlöst. Die große Erwartung der ersten Christen ist nicht der Heiligabend und das Weihnachtsfest alle Jahre wieder, sondern die Vollendung des Reiches Gottes. Darauf hoffen sie.
Und wenn wir heute Advent feiern, den ersten, den zweiten, den dritten, den vierten Advent, dann auch, damit wir weiter denken und hoffen als bis Weihnachten, weiter als bis zur Bescherung, so willkommen und schön sie ist. Advent – die Hoffnung dass eines Tages alles vollendet und alles gut ist.
Jakobus schreibt von Geduld. Ich verstehe es so, dass er die Stimmung nicht anheizt und nicht aufheizt, nicht die Armen gegen die Reichen aufwiegelt, obwohl er den Reichen ins Gewissen redet. Er sieht eine Menge Unrecht und Ungerechtigkeit, Ungereimtheiten, eine Menge Unkorrektheiten, er sieht einen Glauben, wo Menschen es sich im Glauben bequem machen und findet äußerst klare Worte dagegen, nennt Missstände beim Namen. Aber er mahnt zur auch Geduld.
„Beklagt euch nicht übereinander“, schreibt er. Die Standhaftigkeit preist er und das klare Wort, die Offenheit, die Ehrlichkeit, das Schuldbekenntnis, statt alles unter den Teppich zu kehren.
Wie geht es uns damit? Wo zur Geduld gerufen wird, stehen die Dinge ja noch nicht zum Guten, ist der Tag noch nicht perfekt. Wir hätten so viele Probleme gerne gelöst. Wir würden gerne sehen, dass sich die Dinge wieder zum Guten wenden, dass die Klimakonferenz in Paris ein Aufbruch ist, der Ergebnisse hat, die spürbar gut tun, der Klimawandel in einem Jahr gestoppt… Wir würden gerne hören, dass die Flugzeugträger von der syrischen Mittelmeerküste umdrehen, weil dort Frieden ist und die Flüchtlinge zurückkehren und ihr Land aufbauen. Wir würden gerne in den Nachrichten hören, dass Waffen vernichtet werden statt in die falschen Hände zu gelangen und genug Geld zusammenkommt, damit die Hungernden wieder Essenrationen bekommen.
Geduld. Geduld heißt auch: nicht aufgeben! Nicht aufgeben und nicht falsch reagieren! Am meisten Geduld brauchen wir mit uns selbst. Irgendeine Unruhe scheint uns täglich zu ergreifen, dass uns das Wort Geduld so unangenehm ist:
Noch 18 Türchen im Adventskalender bis zum Heiligabend, noch zweieinhalb Wochen, in denen wir einkaufen, einpacken, Gutsle backen, den Christbaum besorgen, Weihnachtskarten verschicken, Besuche machen, an Weihnachtsfeiern teilnehmen – und kaum zur Ruhe kommen. Was würde dieser Jakobus uns heute schreiben?
Ich ahne, er würde uns ins Kloster schicken oder auf eine Pilgerreise, würde uns dringend raten uns um unserem inneren Kompass zu kümmern, würde uns raten, das Gebet für uns zu entdecken, aber nicht darin zu verkrampfen, weniger zu reden, aber dafür klar. Und wir würden dann sagen: „Ja, Jakobus, Du hast Recht, aber das schaffen wir nicht! Es ist, was wir uns schon so oft vorgenommen haben, und wir kommen nicht weit. Es ist was uns schon so oft eingeleuchtet hat, aber wir stehen uns selbst im Weg!“ – Wie dem heiligen Christophorus geht es uns[1], der Christus dienen wollte, aber gesagt hat, er könne nicht fasten, der Christus dienen wollte, aber zugeben musste, das Beten liegt ihm nicht. „Gibt es keinen anderen Weg?“, fragt er den Einsiedler. Und jener Einsiedler, der ihn im Dienst Christi unterwiesen hat, hat ihn nicht weggeschickt. Er hat ihm gesagt: mach das, was Du kannst, geh zum Fluss und hilf den Leuten, ans andere Ufer zu gelangen. So ist er ein Heiliger geworden, indem er das getan hat, was er tun konnte und hat nicht die Welt gerettet, aber ein paar Menschen ans andere Ufer gebracht, hat nicht die Welt erlöst, aber ein paar sind nicht ertrunken, weil er da war. Die Geduld, die nötig war, hat er bekommen und einen wichtigen Dienst für die getan, die auf dem Weg waren wie die Flüchtlinge, die heute zu uns kommen.
Eines Tages war es ein Kind, das er zu tragen hatte, und die Legende sagt, dass es ihm fast so schwer wurde, als trüge er die ganze Last der Welt auf seinen Schultern. Als er das Kind gerettet hatte, hat es sich ihm offenbart als Christus, der Herr der Welt. „Christophorus“ wurde er genannt: „der, der Christus trägt“. Vier Darstellungen von ihm haben wir in unserer Kirche. Christophorus war wirklich ein adventlicher Mensch. Er war unterwegs, er war auf der Suche, er ist angekommen. Amen.
[1] Jacobus de Voragine, Die Legenda aurea, Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz, 1955. Lizenzausgabe für die wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, S. 498ff