trott!war

Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim
Das Wort für die Woche vom 13. 10 bis 18. 10 2025

Wer kennt sie nicht, Männer oder Frauen, mit den roten Westen und Verkäuferausweis in den Fußgängerbereichen unserer Region. Roter Kittel & Ausweis sind Pflicht für Verkaufende. Auf den Zeitungen, die sie verkaufen, muss ihre Ausweisnummer gestempelt sein. Trott-war können alle verkaufen, die über ein geringes Einkommen verfügen oder wohnungslos sind. Der Verkauf der Straßenzeitung bietet Obdachlosen, Wohnungslosen, Arbeitslosen, Rentnern, Menschen mit einer Erkrankung oder Behinderung und Geringverdienern eine Möglichkeit, Geld zu verdienen und wieder ins Arbeitsleben einzusteigen. Der Verdienst wird innerhalb bestimmter Grenzen nicht auf Sozialleistungen angerechnet.

Einen fairen Start bietet trott-war mit den ersten zehn Zeitungen, die mit Kittel, Ausweis und Tasche gratis zur Verfügung gestellt werden. Sie bilden das Startkapital. Die Trott-war-Verkaufenden bestimmen selbst über ihre Arbeit. Sie legen fest, wann, wie lange und wie oft sie verkaufen. Es gibt aber Trott-war-Regeln zum „Wie“ des Verkaufs. So sind z.B. die Plätze für den Verkauf nicht nach Gutdünken wählbar, sondern werden durch den Vertrieb der Zeitung vergeben, am Wochenende durch den Verkäufersprecher. Über die weiteren Verkaufsregeln kann man sich online auf der Website von trott-war informieren: www.trott-war.de.

Trott-war erscheint monatlich und zeigt die Welt und unsere Region aus einer eigenen Perspektive. In der Oktober-Ausgabe gibt es auch einen Beitrag von Antje Weiß aus dem Redaktionsteam zum Thema: Wichtige Fragen und Antworten zum Straßenzeitungsverkauf. Falschverkauf der Trott-war. Für alle, die schon einmal misstrauisch gewesen sind. Besonders aber hat mich in der neuen Nummer die Schreibwerkstatt angesprochen, was ein junger Erwachsener, Benedikt R., über sich selbst schreibt: Oktober 2021. Ich war 18 Jahre alt und in der 13. Klasse, als ich ausgezogen bin. Nicht, weil ich Bock auf Unabhängigkeit hatte, sondern weil ich nicht mehr anders konnte. Zuhause zu bleiben war keine Option. Die familiären Probleme haben mich zerfressen. Ich war psychisch durch, musste da einfach raus. – Plötzlich war ich allein… Es folgt eine spannende Geschichte über zwei Seiten, die 4 Jahre später natürlich noch nicht zu Ende ist, aber schon einen Rückblick erlaubt auf schwierige Jahre, in denen ein junger Mensch seinen Weg selbst suchen musste.

Ich kaufe trott-war gerne, unterhalte mich mit den Verkaufenden. Sie freuen sich, wenn man auf sie zukommt und ihnen nicht ausweicht. Sie stehen im Leben, erzählen gerne. Mit Menschen, die stumm auf der Straße sitzen und betteln, habe ich Probleme, zugegeben. Aber die Trott-war-Verkaufenden stehen, sind freundlich und ansprechbar. Für mich bilden sie eine sympathische Familie von Menschen, die es im Leben nicht leicht hatten oder haben. Und die Zeitschrift, die sie verkaufen, lese ich gerne, einschließlich der Anzeigen. Da gibt es tatsächlich ein paar wenige Unternehmen, die in der Trott-war inserieren. Die sind mir auch sympathisch.

Eines geht übrigens nicht: man kann trott-war nicht abonnieren. Man muss es sich bei einem Verkäufer oder einer Verkäuferin holen und bar bezahlen. Da haben dann beide etwas davon.


Kirchenwahl 2025 – Evangelium und Kirche

Am 30. November 2025 sind in allen Gemeinden der Württembergischen Ev. Landeskirche Wahlen zu den Kirchengemeinderäten und zur Landessynode:
https://www.elk-wue.de/wir/kirchenwahl-2025

Hier findet man die Kandidatinnen und Kandidaten für die Landessynode im Überblick.

Als EuK-Mitglied gilt meine volle Unterstützung der Kandidatin und den beiden Kandidaten von E&K im Landkreis/Wahlkreis Ludwigsburg:

https://www.instagram.com/euk.ludwigsburg/

Weitere Links:

Neue Stickereien aus Damaskus

Von der Fraueninitiative Hook&Thread (Haken & Faden) sind neue Kreuzsticharbeiten eingetroffen. Rückfragen bitte an mich, traugott.plieninger@fokusnahost.org. Näheres über Hook&Thread im Web-Menü von Fokus Nahost. Dort findet Ihr auch einen Flyer zum Herunterladen mit Bildern der Frauengruppe und Informationen über ihre Arbeit.

Wand-Utensilo 37×24; bestickte Einstecktäschchen 13×20
Wand-Utensilo mit Fransen 47×24; bestickte Einstecktäschchen 18×13

Christi Himmelfahrt

Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim
Das Wort für die Woche vom 26. Mai bis 1. Juni 2025 von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

Diese Woche ist unterbrochen durch den Feiertag Christi Himmelfahrt. Die neutestamentliche Grundlage bildet das erste Kapitel der Apostelgeschichte zusammen mit dem Schluss des Matthäusevangeliums, der Geschichte, dass die Jünger nach Galiläa gingen auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte, um ihnen dort ein letztes Mal zu erscheinen. Von Jerusalem aus gesehen ist das ein weiter Weg, ein Pilgerweg im Namen Jesu, um ihm von Neuem zu begegnen.

Theologisch hat die Himmelfahrt Eingang ins Glaubensbekenntnis gefunden, aufgefahren in den Himmel. In den Traditionen, die sich gebildet haben, steht aber weniger die Theologie im Vordergrund, sondern das, was unter freiem Himmel – durchaus spirituell – stattfinden kann. In der Zeit um Himmelfahrt und am Himmelfahrtstag gibt es Wallfahrten, Prozessionen, in katholischen Gegenden auch Männerwallfahrten, so zum Beispiel im thüringischen Klüschen Haigis (Wachstedt), mit Tausenden von Männern, wo man wohl in diesem Jahr auch an den Bauernkrieg vor 500 Jahren erinnern wird, an den Reformator Thomas Müntzer, der im nahen Mühlhausen zum Aufstand aufgerufen hat.

Aus den Männerwallfahrten mögen sich die Vatertags- Wanderungen ergeben haben. Sieht man vom christlichen Bezug ab, hat man im Mai und Juni die Flurbegehungen, die Felderrundfahrten bis hin zu den Wandertagen der Schulen oder den Ausflug der Kinderkirche, den Gemeindeausflug, bei dem fröhlich gesungen wird.

Mit jeder Wallfahrt und jedem Ausflug, im Grunde mit jedem Spaziergang geben wir im Kleinen eine Antwort auf die große Frage, wohin wir unterwegs sind. Wohin führen uns unsere Gedanken, wohin tragen uns unsere Füße? Was ist unser Horizont über den Kirchturm hinaus? Wie sieht unser Weg aus und was bedeutet uns der Himmel? Wie weit reicht unsere Kraft? Was stärkt uns, was macht uns müde? Was tut uns gut, was schadet? – Zum Pilgern gehört die Einkehr, der Gottesdienst genauso wie das Einkehren im Gasthaus. – Ich denke, wir brauchen diesen Feiertag wie auch die andern, sollten keinen mehr abschaffen. Sie sind eng mit unserem Heil verknüpft.

Ostern

Ev. Gesamt-kirchengemeinde Bietigheim
Wort der Woche 21.-17. April 2025
blühende Bäume haben wir gesehn

Zu Ostern gehören für mich Lieder, dieses Jahr besonders „Wir haben Gottes Spuren festgestellt…“ Es steht gar nicht bei den Osterliedern, sondern weiter hinten im Gesangbuch (EGWü 656). Mit dem Text kommt mir auch gleich die Melodie in den Sinn. … Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen. Jedes Wort, jeden Ton mag ich, die Viertel, die Achtel und die Pausen.
Es ist ursprünglich ein französisches Lied von Michel Scouarnec (*1934), einem Priester und Schriftsteller aus der Bretagne, übersetzt von Diethard Zils (*1935), Priester in Mainz. In Windeseile hat es sich Anfang der 80er-Jahre über Konfessionsgrenzen hinweg verbreitet: Blühende Bäume haben wir geseh‘n, wo niemand sie vermutet, Sklaven, die durch das Wasser geh‘n, das die Herren überflutet. Zeichen und Wunder sahen wir gescheh‘n in längst vergang’nen Tagen, Gott wird auch unsere Wege geh‘n, uns durch das Leben tragen.

Ich denke an die neue Zeit, die in Syrien angebrochen ist, Zeichen und Wunder nach fast 14 Jahren Krieg und Zerstörung. Sicher liegt noch ein langer Weg vor den Menschen dort, aber die Hoffnung blüht wieder, und die ersten Früchte reifen schon.

Auch die Wiedereröffnung der Kathedrale Notre Dame in Paris hat mich tief bewegt. Ich weiß noch, wie mir die Tränen kamen, als die Bilder vom Brand sich verbreiteten, und ich fassungslos vor dem Fernseher saß und es nicht wahrhaben wollte. Sechs Jahre ist es gerade her, dass die Feuerwehrleute gegen das Feuer gekämpft haben. Im Advent 2024 konnte Notre Dame wieder eröffnet werden. … Durch tote Fensterhöhlen kam ein Glanz, Strahlen, die die Nacht durchbrachen. …

Ich denke aber auch an die Menschen, die noch das Gegenteil von Ostern erleben, die noch nichts davon spüren dass Bettler und Lahme beim Tanz gesehen werden, dass Stumme wieder Worte finden, denke an die Menschen in der Ukraine, in Gaza, in Israel, im Westjordanland, im Sudan, in Myanmar und all die vielen, die nicht wissen, wie sie weiterleben sollen, weiterleben können. Ich denke an die vielen Menschen, die man in die Gefängnisse gesperrt hat, weil sie sich ihren Regimen nicht gebeugt haben. Trotzdem singe ich gegen all die Katastrophen und all das Unrecht dieser Welt an und wenn’s mit dem Lied ist, das eine Seite vorher im Gesangbuch steht: Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit…

Zu Ostern gehören Lieder, Hoffnungslieder, Freiheitslieder, Lieder gegen alles Unheil, Lieder gegen den Tod, Lebenslieder.

Abstand

Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim – Wort der Woche 10.-16.2.25

Wer erinnert sich nicht: während der Corona-Pandemie hat man das Abstand-Halten geübt. Nur niemandem zu nahe kommen! Nur niemanden zu nah an sich heranlassen!

In Kirchen wurde mindestens jede zweite Bankreihe gesperrt und in den anderen Reihen durften höchstens – mit Abstand – drei Leute sitzen. In Restaurants, Kantinen, Versammlungsräumen wurden die Sitzplätze ausgedünnt. Nach und nach wurden die Regelungen wieder großzügiger. Aber das Abstand-Halten gilt weiterhin im Straßenverkehr, am Bankschalter, beim Arzt und am Bahnsteig.
Wo der Abstand nicht eingehalten wird, kann es gefährlich werden, zumindest aber eng und ungemütlich. Schweigend steht man zu zweit, zu dritt oder viert im Aufzug, weil man sich fremd ist und zu nah beieinander steht.

In seinem berühmten Gedicht „Von der Ehe“ sagt der libanesische Dichter und Philosoph Khalil Gibran (1883-1931) zum Schluss:

Und steht zusammen,
doch nicht zu nah:
Denn die Säulen des Tempels stehen für sich,
Und die Eiche und die Zypresse wachsen nicht im Schatten der anderen.

Abstand gewinnen ist mir noch in anderer Hinsicht wichtig. Ständig sind wir konfrontiert mit Nachrichten, Werbung, Information. Einst hat man morgens die Zeitung überflogen und dann weggelegt. Heute können wir die Nachrichten mit unseren Smartphones den ganzen Tag verfolgen. Push-Meldungen kommen in kurzen Abständen. Es ist schwer, eine Distanz zu all dem zu gewinnen, was fortwährend Aufmerksamkeit beansprucht, uns bedrängt und womöglich zu nah kommt. Entsprechend gereizt und ungeduldig ist unsere Gesellschaft im Ganzen. Schnell greift die Empörung über, und die Menge ruft Skandal! Wir kommen mit allem, was auf uns einstürmt, nicht mehr gut zurecht. Ständig müssen wir entscheiden, ob wir reagieren wollen oder ob uns das nichts angeht. Wie gewinnen wir den nötigen Abstand?

Am ehesten, indem wir bewusst Gelegenheiten wahrnehmen, uns auf unsere Mitte auszurichten. Demnächst vielleicht, wenn es ab dem Aschermittwoch (5. März) wieder heißt: 7 Wochen ohne… Das diesjährige Motto der Fastenaktion lautet:
Luft holen! Sieben Wochen ohne Panik. Wie passend, um Abstand zu gewinnen! Die Anregung stammt von Jesus. Ihn finden wir zu Beginn seiner Wirksamkeit nicht in einer Menschenmenge, sondern in der Wüste: 40 Tage, die ihn prägen. Später wird er immer wieder den Abstand suchen, den er zum Durchatmen braucht, um dann zu den Menschen zurückzukehren.

Ich wünsche Ihnen Gottes Segen, wenn Sie Abstand gewinnen müssen!

Laternelaufen

ev. Kirchengemeinde bietigheim
Das Wort für die Woche
vom 18. – 24. November 2024
von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

November ist auch die Zeit des Laternelaufens, der Laternenumzüge, der Laternenlieder. Schon die Kleinsten sind mit unterwegs, wenn es draußen dunkel und kalt geworden ist, warm eingepackt, damit sie nicht frieren. Stimmt es, dass man die Laternenumzüge früher häufiger gesehen hat? So kommt es mir jedenfalls vor: mit allen Arten von Laternen, große runde mit einem Sonnengesicht, schmale längliche mit bunten Mustern. Heutzutage haben sich vielfach die Kindergärten dieser Tradition angenommen, meist um den Martinstag herum, den 10. November. Aber eigentlich kann man jeden Abend Laternelaufen und Laternenlieder singen mit selbst gebastelten Laternen, mit einem Batterielämpchen erhellt, damit nichts anbrennt. Die Kinder stört das nicht, dass es keine echten Kerzen sind. Wenn es dann im Advent überall weihnachtlich wird, Christbäume und Lichterketten die Straßen und Häuser schmücken, ist die Laternenzeit, die Zeit der kleinen Lichter, vorbei.

Mich berührt es, wenn ich einen Laternenumzug entdecke, diese kleine Art einer friedlichen Demonstration der Freude und des Aufscheinens von Lichtern im Dunkeln: Dort oben leuchten die Sterne und unten, da leuchten wir… singen die Kinder. Was kommt einem da nicht alles in den Sinn?!
Laternelaufen gehen die Kinder nicht allein. Entweder sind die Eltern mit dabei oder die größeren Geschwister, Nachbarkinder oder es ist die ganze Kindergartengruppe samt Erzieherinnen, Eltern und Großeltern gemeinsam unterwegs. Behütet und begleitet gehen die Kinder durch die dunklen Straßen und Gassen. Die Laterne schützt das Licht. Die Kinder halten ihre Laterne vorsichtig in ihren kleinen Händen. Sie haben keine Angst im Dunkeln; aber sie spüren doch, dass die Nacht nicht weit weg ist, sondern geheimnisvoll nah und fremd, vor allem an Abenden, an denen der Himmel bedeckt ist, Mond und Sterne hinter Wolken verschwunden. Vielleicht gehören deshalb die Lieder zum Laternelaufen, damit es, wenn es dunkel ist, nicht auch noch gespenstisch still ist.
Was für ein wunderbarer Brauch hat sich da erhalten aus Zeiten, in denen es keine Straßenbeleuchtung gab und man Lampen benötigte, wenn man nachts unterwegs war, vielleicht um Hilfe zu holen oder Hilfe zu bringen. Mit einer Laterne sieht man nicht weit, sieht gerade den Weg für die nächsten Schritte, geht langsam voran, muss darauf achten, wohin man seinen Fuß setzt, und darf sich nicht verirren bis man die beleuchteten Fenster sieht und sich darauf freut, wieder zuhause und in einer warmen Stube zu sein.
Irgendwann ist es vorbei mit dem Laternelaufen, aber nicht mit der Dunkelheit und auch nicht damit, dass man in den Dunkelheiten dieser Welt Wege finden muss, aufeinander angewiesen ist, und dass es viele kleine Lichter braucht. Ihr seid das Licht der Welt, sagt Jesus seinen Jüngern, und sagt auch: Ich bin das Licht der Welt, damit die, die leuchten sollen, wissen, wo sie Orientierung bekommen.

SINN und ZUFRIEDENHEIT

Das Wort für die Woche vom 30. September – 6. Oktober 2024 von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

Neulich habe ich es mir aus dem Regal geholt, das 1962 erschienene Bändchen mit gesammelten Schriften von Antoine de Saint-Exupéry, Dem Leben einen Sinn geben. Es schien mir an der Zeit, es wieder einmal zu Hand zu nehmen. Darin enthalten ist der Brief an einen General, den er im Juli 1943 geschrieben hat und der 1948 posthum veröffentlicht wurde. Dort heißt es an einer Stelle:

„Ach, Herr General, es gibt nur ein Problem, ein einziges in der Welt. Wie kann man den Menschen eine geistige Bedeutung, eine geistige Unruhe wiedergeben; etwas auf sie herniedertauen lassen, was einem Gregorianischen Gesang gleicht!… Sehn Sie, man kann nicht mehr leben von Eisschränken, von Politik, von Bilanzen und Kreuzworträtseln. Man kann es nicht mehr. Man kann nicht mehr leben ohne Poesie, ohne Farbe, ohne Liebe…“

Heute würde er anderes aufzählen, vielleicht: Man kann nicht mehr leben von Nachrichten, Umfragen und Talkshows, von Online und Offline, KI, Tiktok und Facebook, obwohl unsere Gesellschaft und wir einzelnen längst süchtig danach geworden sind und spüren zugleich: Es stillt unsere Sehnsucht nach Leben nicht, womit wir uns beschäftigen, unterhalten oder zerstreuen lassen, aber wir können anscheinend auch nicht ohne das alles auskommen. Ist es die Unzufriedenheit, die unser Leben in Gang hält?

Was macht uns zufrieden? Sicher nicht die Ohnmacht, die wir empfinden, wenn wir tagtäglich durch die Medien an Abgründe und vor Situationen geführt werden, auf die wir nicht zu reagieren wissen. Krieg, Zerstörung, Hunger, Flucht. Aber was ist es dann?

Und wie lange hält ein Stück Zufriedenheit? Was gibt uns Halt, wenn die Zufriedenheit schwindet? Goethe lässt eine seiner Figuren im Wilhelm Meister sagen:

„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.“

»Auftanken«, sagen wir heute, »seinen Kompass ausrichten«, »sich sammeln«, »sich besinnen«, – was für ein Wort!

„Alle Tage wenigstens…“ seinen Rhythmus finden, seinen Halt suchen und wissen, wo er zu finden ist. Letzten Endes hängt unsere Zufriedenheit mit dem Sinn zusammen, den wir für unser Leben und unseren Alltag gefunden haben: für etwas oder für jemand da sein zu können, wie es der Predigttext des zurückliegenden Sonntags sagt: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die empfangen hat. 1. Petr. 4,10. Es ist sicherlich ganz praktisch gemeint.

Ebbe und Flut

Das Wort für die Woche vom 26. August – 1. September 2024

Nur einen Tag waren wir an der Küste, Nordseeluft atmen. Das Wetter war wunderbar! Als wir am späteren Vormittag das Meer sahen, war es weit weg: Ebbe. Nordseeluft gibt es auch bei Ebbe.Einige sind im Watt gewandert, andere haben Drachen steigen lassen, die Möwen haben die Menschen beobachtet und die Menschen die Möwen. Alles entspannt, keine Hektik. Ebbe ist schön. Nachmittags kam das Wasser zurück. Die ersten gingen dem Wasser entgegen. Man hat Zeit genug.

Das ist es, was ich an den Nordseetagen liebe: dass man Zeit genug hat. Auch wenn es nur ein paar Stunden sind: alles fühlt sich leicht an. Ebbe und Flut, ein ewiger Rhythmus. Flut bringt Erfrischung. Aber sie kann auch bedrohlich sein, kann zur Sturmflut werden. Ebbe ist zahm und voller Geheimnisse, aber sie muss der Flut weichen, wenn es Zeit ist.
Ist es nicht eigenartig, dass der Gezeitenrhythmus sein eigenes Gesetz hat, nicht den Wechsel von Tag und Nacht, sondern versetzt. Zweimal am Tag kommt die Flut, zweimal fließt das Wasser wieder ab. Man kann es nicht beschleunigen und nicht verlangsamen, man kann es sich nicht passend machen. Wie schön! Etwas, was sich der Menschenmacht entzieht und uns Menschen gerade dadurch gut tut und uns beglückt. Es ist, als würden Land und Meer einatmen und ausatmen, sich gegenseitig Raum geben, miteinander spielen, Tag und Nacht, jahrein, jahraus. Gut gemacht, Gott, schön geworden! möchte ich sagen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Woche in einem guten Rhythmus, Freude am Leben!