Der durchlässige Himmel. Predigt am Fest Christi Himmelfahrt, 14. Mai 2015

Predigttext: Lukas 24,44-53

44Jesus sprach zu seinen Jüngern und denen, die bei ihnen waren: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. 45Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden, 46und sprach zu ihnen: So steht‘s geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; 47und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem 48und seid dafür Zeugen. 49Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.

50Jesus führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. 51Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. 52Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude 53und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.

Predigt

Liebe Gemeinde,

denen, die an Jesus glauben sollten und glauben wollten und die ihn nie gesehen hatten, wird diese Geschichte erzählt. Sie steht hier am Ende des Lukasevangeliums – und derselbe Autor erzählt die Geschichte noch einmal am Anfang seines zweiten Werkes, seines zweiten Bandes gewissermaßen, am Anfang der Apostelgeschichte. So weist Lukas schon im Erzählen der Geschichte darauf hin, dass sie ein doppeltes ist, ein Ende und ein Anfang.

Ein Ende, ganz unspektakulär, eine Ortsangabe: Betanien, ein kleines Dorf außerhalb von Jerusalem, am Rand der Wüste Juda, wo sie immer wieder gewesen waren. Jesus scheidet von seinen Jüngern mit der Segensgeste, er hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ Sie werden weiterführen, was er begonnen hat. Sie werden mit dem leben, was er ihnen anvertraut hat. Sie stehen auf einmal allein da, ohne ihn, allein auf weiter Flur, allein in einer weiten Welt, allein, aber mit einer Seelenruhe und Gewissheit, dass sie nicht verlassen sind. Sie „kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude.“ Nicht mit großer Ratlosigkeit. Wie kann das sein?

Es ist das, was mich an diesem Text am meisten bewegt: „Nicht mit großer Ratlosigkeit.“ Wie kann das sein? Und ich denke an meine eigenen Ratlosigkeiten und die Ratlosigkeiten anderer, die mir so oft begegnen. Unsere Sozialstation, die so einen guten Dienst tut in unserer Stadt: – So groß die Personalnot und so viele der Patienten, dass es einfach nicht zu bewältigen ist! Ratlosigkeit. Ich will gar nicht in Gefahr geraten aufzuzählen. Jede und jeder kennt das, Momente der Ratlosigkeit im Großen wie im Kleinen, im Persönlichen wie im Politischen.  – Wie seltsam unberührt es einen lassen kann, wenn dann immer noch jemand da ist, der eine Idee hat, einen Gedanken durchspielt, den man selbst schon so oft durchgespielt hat, wenn jemand es gut meint; aber was gut gemeint ist, hilft nicht immer.

Es muss da etwas geben, was der großen Freude Nahrung gibt und die Ratlosigkeiten vergessen macht. Und es ist ohne Zweifel das, was in dieser Geschichte der Segen des Auferstandenen ist, der Segen des auferstandenen Christus, der sie an die Auferstehung glauben lässt und nicht nur an den Untergang, der Segen des auferstandenen Christus, der sie am Himmel nicht zweifeln lässt und nicht an der Durchlässigkeit des Himmels zweifeln lässt.

*

Hölderlin, Hyperions Schicksalslied, wo die Götterwelt weit abgeschieden ist von allem Irdischen, mitnichten durchlässig:

Ihr wandelt droben im Licht
   Auf weichem Boden, selige Genien!
             Glänzende Götterlüfte
                       Rühren euch leicht,
                                 Wie die Finger der Künstlerin
                                           Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
   Säugling, atmen die Himmlischen;
             Keusch bewahrt
                       In bescheidener Knospe,
                                 Blühet ewig
                                           Ihnen der Geist,
                                                     Und die seligen Augen
                                                               Blicken in stiller
                                                                         Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
   Auf keiner Stätte zu ruhn,
            Es schwinden, es fallen
                     Die leidenden Menschen
                              Blindlings von einer
                                       Stunde zur andern,
                                                Wie Wasser von Klippe
                                                         Zu Klippe geworfen,
                                                                  Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Hölderlin – der von Sehnsucht Getriebene, Ungezählte mitnehmend. Der Himmel im Schicksalslied ist nicht durchlässig, allenfalls schauen sie, die Genien, dem irdischen Treiben zu, weit genug weg als dass sie sich damit auseinandersetzen müssten. Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn… Selbstmitleid? Oder bittere Wirklichkeit?

Da schauen wir noch einmal auf die Himmelfahrtsgeschichte, wo den Jüngern des Herrn „Kraft aus der Höhe“ verheißen, versprochen wird. „Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.“

Da ist er, der durchlässige Himmel,
und den Jüngern, die sich vielleicht auch schon gefragt haben,
woher sie die Kraft nehmen sollen oder
die sich eines Tages gewiss noch fragen werden,
woher sie die Kraft nehmen sollen,
diesen Jüngern wird versprochen ausgerüstet zu werden mit Kraft aus der Höhe.

Und es scheint, als könnten sie es glauben. Es hat den Anschein, als wäre da kein lebloses Kopfschütteln oder eine innere Rebellion gegen diese Verheißung, sondern ein Vertrauen, dass das keine leeren Worte sind: Kraft aus der Höhe…
Ja, sie gehen zurück nach Jerusalem,
sie lassen sich sehen am Tempel, Anhänger Jesu, Jünger Jesu,
Nachfolger, die sich nicht verstecken,
die noch nicht wissen wie es weitergeht,
die sich aber schon einig sind,
dass sie sich nicht in Wohlgefallen auflösen werden.

„Zurück nach Jerusalem“ heißt:
den Standort nicht aufgeben,
den Tempel nicht denen überlassen, die Jesus ans Kreuz gebracht hatten,
die Heilige Stadt nicht denen überlassen,
denen nichts heilig ist, wenn’s um ihre Macht geht.
Zusammenhalten, aber nicht in verkrampfter Entschlossenheit,
sondern weil der Herr, der Auferstandene sie zusammenhält.
Ein bisschen naiv sein, einfältig, aber auf die Kraft aus der Höhe vertrauend.

Mit dem Segen des Auferstandenen gehen sie zurück – wie wir in der Osternacht die Gottesdienstbesucher mit dem Kreuzzeichen segnen und sprechen: Der Auferstandene segne Dich. Es soll nichts anderes sein und bedeuten als das, was gesagt ist. Und gebe Gott, dass die Kraft aus der Höhe sich einstellt, auch in diesen Tagen um Himmelfahrt herum. Amen.

Veröffentlicht von

TPlieninger

Pfarrer, ev., im Ruhestand