Predigt am Sonntag Rogate, 10. Mai 2015, im Gottesdienst auf dem Hardt-/Schönbühlhof
Predigttext: Johannes 16,23b-28.33 (Luther)
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.
Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.
An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;
denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Predigt
Liebe Gemeinde hier auf dem Hof,
„Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn, er hat Dir viel Gutes getan…“ – Ein weit bekanntes Lied, das auch im Gesangbuch seinen Platz gefunden hat. Hier im Johannesevangelium heißt es eher: „Vergiss nicht zu bitten!“
Es geht ums Gebet am Sonntag Rogate, ums Beten, aber was ist das?
Ich erinnere mich an die Schulzeit, wo wir im Deutschunterricht das Stück von Bertolt Brecht Mutter Courage gelesen haben, ein Stück über den 30jährigen Krieg. Berühmt die Passage, in der die stumme Kattrin zum Beten aufgefordert wird:
„Bet, armes Tier, bet! Wir können nix machen gegen das Blutvergießen. Wenn du schon nicht reden kannst, kannst doch beten. ER hört dich, wenn dich keiner hört…. Vater unser, der du bist im Himmel, hör unser Gebet, lass die Stadt nicht umkommen mit alle, die drinnen sind und schlummern und ahnen nix. Erweck sie, dass sie aufstehn und gehen auf die Mauern und sehn, wie sie auf sie kommen mit Spießen und Kanonen in der Nacht über die Wiesen, herunter vom Hang.
„Beschirm unsre Mutter und mach, dass der Wächter nicht schläft, sondern aufwacht, sonst ist es zu spät. Unserm Schwager steh auch bei, er ist drin mit seine vier Kinder, lass die nicht umkommen, sie sind unschuldig und wissen von nix.“
„Eins ist unter zwei, das älteste sieben.“
Kattrin beginnt, auf dem Dach sitzend die Trommel zu schlagen, die sie unter ihrer Schürze hervorgezogen hat…
Beten oder trommeln? Geht es beim Beten darum, Unheil zu verhindern? Ist das das Gebet, dass es Unheil verhindern soll?
Es gibt auch die Gebete mitten im Unheil, mitten im Untergang, der Gesang der Männer im Feuerofen, das Beten und Singen von Pater Maximilian Kolbe im Hungerbunker in Auschwitz, das „Unetane tokev“ genannte Gebet des Rabbi Amnon von Mainz, dem man der Legende nach Arme und Beine abgeschlagen hat und der schwer geschändet in die Synagoge getragen wurde und dieses Gebet sprechend den Blicken der Anwesenden entschwindet, denn Gott hat ihn zu sich genommen.
Welche Bilder kennen wir vom Gebet?
Gebetsmühlen in Tibet. Die Gebete sollen durch das Drehen der Mühlen in Gang gehalten werden. Oder Gebetsfahnen, die der Wind bewegt, gleichermaßen in Tibet, wo der Wind zu Hilfe genommen wird, die Gebete zum Himmel zu tragen. Oder – in unserer christlichen Tradition – das immerwährende Gebet der Mönche in den Klöstern, womöglich in Einsiedeleien, wo ein Mönch sich ganz dem Gebet hingibt. Großartig der 3 Stunden dauernde Film „Die Große Stille“ über das Schweigen der noch dort lebenden Mönche in der Grand Chartreuse in den französischen Alpen, unterbrochen nur vom Gottesdienst und dem Gespräch am Sonntagnachmittag. 14 Jahre musste der Regisseur, der diesen Film drehen wollte, auf eine Antwort warten, ob die Mönche das Drehen eines Films über ihr Leben zulassen würden, 14 Jahre. Das Leben im Gebet kennt andere Zeiten als das Leben des modernen Großstadtmenschen.
Ist das Gebet das Überflüssigste in dieser Welt oder das Notwendigste? Wäre die Welt ohne das Gebet besser oder wäre sie noch schlimmer? Ist Beten ein Betrug, ein Selbstbetrug oder der Weg zu Gott und zur Wahrheit über mich selbst? „Wer singt, betet doppelt“, sagt Augustinus, und „Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen. Jakobus der Gerechte aber hatte Schwielen an den Knien vom Beten, nicht vom Tanzen. „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt“, sagt Paulus, „aber der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“
Es gibt das Gebet der Gemeinschaft von Taizé, das in viele Konfessionen wertvolle Impulse gegeben hat, und es gibt das stumme Aufstellen von Kerzen dort, wo ein Mensch bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.
„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung“ heißt es im Katechismus. Dort, wo die Kirche noch im Dorf ist, läuten mindestens drei Mal täglich die Glocken und rufen zum Gebet. Früher hat man vielleicht gelernt: „Nun tönt vom Turme nieder der Abendglocke Schall. Die Sonne geht zur Ruhe, und still wird’s überall. Hab Dank, dass du, o Vater, so treulich uns bewacht! Gib uns und allen Menschen heut eine gute Nacht! Amen.“ Oder eine Gesangbuchstrophe: „Abend und Morgen sind seine Sorgen; segnen und mehren, Unglück verwehren sin d seine Werke und Taten allein. Wenn wir uns legen, so ist er zugegen; wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen über uns seiner Barmherzigkeit schein.“ – Das kann man am Abend und am Morgen sprechen.
Eine junge Frau, die die Ausbildung zur Altenpflegerin macht, hat mich gebeten, für sie Gebete aufzuschreiben für eine Sammlung von Gebeten für alte Leute. Das Gebet begleitet durch die Lebensstufen. Eltern beten am Bett ihrer kleinen Kinder, alte Menschen legen ihr Leben in Gottes Hand.
Der Predigttext:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.
Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
Was ist das für ein Beten? Doch bestimmt nicht eine Methode etwas zu bekommen, was man auf andere Weise nicht bekommt. Es ist das Beten einer engen Vertrautheit mit Gott, mit dem Vater, das Beten, das man an Jesus selbst beobachtet. Er bittet nicht um gutes Wetter und nicht um einen Lottogewinn und kaum um einen Ausweg aus einer Notlage. Erst in Gethsemane: „Ist’s möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe, aber nicht wie ich will, sondern wie DU willst.“ Aber wir lernen von ihm das Beten um die Herrschaft Gottes, Dein Reich komme, und das Beten um Einheit und Einigkeit: „…damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein…“
Aus einer engen Vertrautheit heraus ist das gesagt: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben…“ wissend, dass dieser Vater dem, der ganz in seiner Nähe ist, nichts abschlagen wird. Aber es ist kein Trick, keine Methode, kein Hokuspokus um sich oder jemand anderem einen Vorteil zu sichern, ein Leid zu sparen. Und es ist gesagt in der großen Gewissheit, dass Gott gar nicht das Leid seiner Kinder will, sondern, dass Eure Freude vollkommen sei!
Der Abschnitt ist im Johannesevangelium ein Passus aus den Abschiedsreden, in denen Jesus die Jünger auf seinen Weggang vorbereitet. Sie werden ihn vermissen, aber sie werden nicht verlassen sein. Sie werden ihn nicht mehr sehen, aber sie werden nicht im Dunkeln stehen. Sie werden in der Welt Angst erleben, „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Was ist daraus geworden? Die Jünger haben sich nicht als Gebetskreis konstituiert, aber sie sind im Gebet geblieben. Die Kirche Jesu Christi ist eine betende Kirche geworden, aber sie hat keine Vorschriften erlassen, welche Regeln für das Gebet einzuhalten wären.
Fromme Juden legen die Gebetsriemen an, legen den Gebetsmantel um, Muslime reinigen sich vor dem Gebet, wenden sich nach Mekka, stehen oder liegen auf einem Teppich. Kinder lernen, wie man richtig betet.
Die christliche Kirche ist arm an Vorschriften für das Gebet, aber sie ist eine reiche Kirche, wenn sie eine betende Kirche ist.
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.
Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
Was bräuchte es mehr als dass Gott unsere Bitten erhört? Es bräuchte ja nur das, dass wir das bitten, was Gott erhören möchte, und deshalb kann eine Predigt am Sonntag Rogate nicht sagen: Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn… und auch nicht Vergiss nicht zu bitten… Es geht nicht drum, das Beten nicht zu vergessen, sondern im Gebet zu leben, in der Vertrautheit zu Gott, und es geht darum, dass das das Anliegen der Kirche sein kann und nicht die Anstrengung des einzelnen.
Dschihad heißt im Islam die Anstrengung des Einzelnen. Dschihad kann ein frommer Ehrgeiz sein, der in den heiligen Krieg mündet.
Die betende Kirche kennt nicht den Dschihad, die extreme Anstrengung, den heiligen Kampf. Die betende Kirche lebt im heiligen Frieden und freut sich in vollkommener Freude und der einzelne ist darin aufgehoben, gut aufgehoben. Er trägt nicht die Last, sondern nimmt teil an der Freude. Amen.