Predigttext: Markus 10,35-45 (Evangelium)
35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Liebe Gemeinde,
das 10. Kapitel des Markusevangeliums beginnt mit den Worten: Und er machte sich auf und kam von dort in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Das ist eine beeindruckende Landschaft. Tief ist der Jordangraben, an dessen Ufer ein schmaler grüner Streifen ist, braun und gelb und grau sind die Farben der Berge im judäischen Bergland oder gegenüber auf der jordanischen Seite des Jordangrabens. Für das Markusevangelium steht diese Ortsangabe aber dafür, dass der Weg Jesu und der Jünger auf Jerusalem zugeht; nicht, um dort schöne Dinge zu erleben, sondern um dort sich der Entscheidung zu stellen.
Unmittelbar vor unserem Abschnitt heißt es
Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem und Jesus ging ihnen voran; und sie entsetzten sich; die ihm aber nachfolgten, fürchteten sich. Und er nahm abermals die Zwölf zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde:
Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und den Heiden überantworten.
Die werden ihn verspotten und anspeien und geißeln und töten, und nach drei Tagen wird er auferstehen.
Damit stellt der Evangelist Markus den Kontext dar, als käme das hintereinander, die Leidensankündigung und die Frage der Jünger nach Einfluss, Rang und Namen. Sie scheinen in einer anderen Welt zu leben. Jesus aber kündigt ihnen an, dass auch sie einen Leidensweg gehen werden. Das Leiden scheint in dieser Geschichte immer deutlicher etwas Notwendiges zu sein, etwas Unumgängliches, um das man keinen Umweg machen darf. Nicht nur: da kommt ihr nicht dran vorbei, nicht nur: das bleibt Euch nicht erspart, sondern es muss sein. Nicht nur: da müsst ihr durch, sondern es ist von einer Taufe die Rede, „es wird Eure Taufe sein“, Eure Wandlung, Euer Eintritt ins Leben.
Vielleicht spüren wir, wie es unangenehm, fast beklemmend wird, wie einem das zu nahe gehen kann, wie man vielleicht umkehren möchte auf einem Weg, den man eingeschlagen hat, und der einem zu steil zu werden droht. – Zurück in die Zeiten der Unbeschwertheit, zurück in die Zeiten der Unbefangenheit, zurück in die Zeit, in der einem viele Wege offen standen und man auswählen konnte, welchen Beruf man ergreifen möchte, wen man heiraten möchte, wo man wohnen möchte, wohin man reisen möchte, was man am Wochenende macht, mit wem man essen geht…
Und selbst, wenn man einen Weg eingeschlagen hatte, war immer noch vieles offen, hat einem das Leben Möglichkeiten gegeben, man durfte Erfahrungen sammeln, Freunde gewinnen, Höhepunkte und Alltag erleben. Irgendwann hat man dann Prüfungen zu bestehen, irgendwann und irgendwie gibt es Bewährungen, kommt es drauf an, kommt es auf einen selbst an, beginnt man wahrzunehmen, dass man dem, was auf einen zukommt, gewachsen sein muss. Man kann nicht ausweichen, und es hat womöglich sein Gutes, dass man nicht ausweichen kann, dass man standhalten muss und standhält.
Es gibt auch das Scheitern. Es gibt das Scheitern im Beruf, das Scheitern in der Ehe. Es gibt das Scheitern, verursacht durch Unglücke oder Krankheiten oder Schicksalsschläge, es gibt das, dass man in die Knie gezwungen wird, dass die Angst über einen kommt, dass man innerlich einsam wird, von allen guten Geistern verlassen, von Gott verlassen – wie es Jesus am Kreuz herausgeschrien hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
Es wird ernst. Die Jünger möchten etwas geschenkt, was es nicht gibt. Jesus sagt: das könnt Ihr Euch nicht verdienen, das bekommt keiner geschenkt, es wird nicht ausgelost und nicht durch Mehrheitsentscheid zugeteilt in der Herrlichkeit Gottes ganz oben zu sitzen. Es ist unangemessen seine Gedanken zu verschwenden: was wäre wenn… Auf das Was wäre wenn antwortet Jesus: es wird anders kommen.
Vielleicht auch für die Kirche.
„Kirche der Freiheit“ hat ein Arbeitspapier geheißen, das vor 10 Jahren durch die Evangelische Kirche Deutschlands gegangen ist, von Leuchtfeuern war darin die Rede, zum Beispiel:
Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten ausstrahlungsstarke Begegnungsorte evangelischen Glaubens schaffen und stärken.
Im Jahre 2030 gibt es zentrale Begegnungsorte des evangelischen Glaubens, die missionarisch-diakonisch-kulturell ausstrahlungsstark sind und angebotsorientiert in einer ganzen Region evangelische Kirche erfahrbar machen. Im Sinne der Stadt auf dem Berge (Matthäus 5,14) zeigt die evangelische Kirche an diesen Orten die Fülle ihrer geistlichen Kraft. Diese Stärkung der Stärken in kirchlichen Zentren wird regional gemeinsam gewollt, weil diese Zentren geistliche Verantwortung für die sie umgebenden Regionen übernehmen.
Das und noch andere schöne und gute und interessante Dinge standen da drin, stehen noch drin, wenn man es lesen möchte, anregend, herausfordernd, in die Zukunft weisend.
Zugleich kommt es mir so vor, kam es mir von Anfang an so vor, als wollte die Kirche wie die beiden Jünger Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus, anspruchsvoll sein. Das sind sie ja, die beiden, sie stehen für die anspruchsvolle Kirche, die sich zeigt, sich nicht geniert, die will, dass man sich sehen lassen kann, die einen Beitrag zum Guten leistet, die sich gegen falsche Bescheidenheit wehrt und höchstens die Befürchtung hat, dass sie unter ihrem Anspruch bleiben könnte. Veränderung ja. Aber bitte nicht Anspruchslosigkeit und nicht Bedeutungslosigkeit! Es hat etwas, es ist verführerisch.
Jesus aber verweist seine beiden Jünger, die anspruchsvoll sein möchten, darauf, dass sich nicht selbst Ansprüche stellen werden, sondern dass Ansprüche an sie herangetragen werden, denen sie sich stellen müssen, dass sie sich diesen Ansprüchen vielleicht nicht gewachsen fühlen werden, dass sie vielleicht unter diesen Ansprüchen zerbrechen könnten. „Könnt Ihr Euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ – Und die Frage, die daraus folgt ist, ob die Zeit einer ohnmächtigen Kirche womöglich schon angebrochen ist, wo sie sich Verfolgung, Vertreibung, Unterdrückung ausgesetzt sieht?
Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.
Als wäre diese Welt nicht zu verbessern, als wäre die bessere Welt ohne Gewalt eine Illusion, der man vielleicht manchmal näher ist, und die dann unversehens wieder in die Ferne rückt… Und war nicht die vergangene Woche wieder eine Woche der Gewalttaten? Kein Verbessern der Welt schwebt Jesus vor, sondern das, dass die Kirche in dieser Welt einen anderen Weg geht, dass seine Jünger in dieser Welt einen anderen Weg gehen, dass seine Gemeinde in dieser Welt einen anderen Weg geht:
Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Freilich, großen Glanz erzeugt das nicht. Aber es hat eine andere, eigene, besondere Schönheit. Und wir sollten in unserer Kirche und in unseren Gemeinden darauf achten, dass das Dienen Anerkennung findet: „einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“, schreibt Paulus.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele,
Was nicht zuletzt auch uns zugute kommen darf! Indem wir nicht nur dienen, sondern uns auch den Dienst anderer, den Dienst Jesu Christi gefallen lassen, dass uns Erlösung zuteil wird, Erlösung unter der sich das löst, worin wir uns womöglich verkrampft haben könnten. Amen.
Predigt im Gottesdienst auf dem Hardt-/Schönbühlhof
22. März 2015