Liebe Konfirmationsjubilare und Angehörige, liebe Gemeinde,
vorne auf den Gottesdienstprogrammen ist das Bild vom Innern unserer Bartholomäuskirche. Es sieht aus, als wäre vor der Kanzel, vor dem Altarraum ein Transparent gespannt über das ganze Mittelschiff von einer Säule zur andern. Auf dem Transparent große Ornamente um ein Schriftfeld herum, auf dem Schriftfeld der Wochenspruch für diesen Sonntag und die neue Woche als Bibelinschrift im Deutsch einer längst vergangen Zeit:
Warlich, warlich Sag ich euch es sey Dan das das weizen körnlin in die erden falle und sterbe so Bleibt es Allain, wo es aber erstirbt, so bringt es vil Frucht IOAN 12
Der Spruch findet sich im Chor der Bartholomäuskirche.
Wir sind vor kurzem vom landeskirchlichen Archiv auf diese Inschrift hingewiesen worden, weil die Schriftfelder, die man in Chor der Bartholomäuskirche findet, ein frühes Zeugnis der Umsetzung der Reformation in unserer Region sind.
Vom 8. April bis 10. Juni 2017 wird es im Alten Schloss in Stuttgart eine Ausstellung geben „Luther kommt nach Württemberg“. Dort werden im Ausstellungskatalog auch unsere Inschriften zu sehen sein. Sie stammen aus dem Jahr 1593, vermutlich von einem Markgröninger Maler Meister Hans Jerg Herzog. Darauf deuten die Initialen, die an einem der Schriftfelder zu finden sind.
1593. – Vor 424 Jahren also. Wir können uns solche Zeiträume schlecht vorstellen. Die Reformation – 500 Jahre. Die Diamantene Konfirmation 60 Jahre. Wir erfassen es mit unserem Verstand, aber emotional erfassen wir die Zeiträume anders, spüren eher ob uns etwas nah ist oder weniger nah, egal wie weit oder wie nah in der Vergangenheit. Ja, wir befassen wir uns mit dem, was war, interessieren uns für unsere Geschichte, nehmen sie ernst, wichtig.
Auf der Nordseite des Kirchplatz gab es an den letzten beiden Freitagen einen kleinen archäologischen Einsatz auf der Baustelle unter Aufsicht unseres archäologischen Fachmanns, um etwas über die Geschichte unserer Kirche zu erkunden. Fundamente wurden freigelegt, Bestattungen dokumentiert. Interessante Befunde kamen zum Vorschein. Was hier an dieser Stelle, an der wir uns zum Gottesdienst versammeln, einmal war, bedeutet uns etwas, sagt uns etwas, ist uns nicht gleichgültig.
Ein Baum aber kann 100 Jahre alt sein, 300 Jahre und noch älter. Er weiß es nicht. Er steht da, treibt seine Wurzeln in den Boden, die Äste in den Himmel, könnte erzählen von ganzen Epochen und gibt sein Geheimnis nicht preis.
Ein Bauwerk, zweitausend Jahre. Die Klagemauer in Jerusalem zum Beispiel, Westmauer des letzten Tempels, den Herodes erweitert hat. Die Menschen strömen dorthin um zu beten. Jahrhundertelang waren die Mauer im Schutt der Weltgeschichte verborgen bis man sie freigelegt hat. Sie hat sich nicht selbst geregt.
Was ist das mit uns Menschen, dass uns unsere Geschichte so wichtig ist? Wir interessieren uns für den Anfang allen Seins, für die Schöpfung oder einen Urknall und merken, dass wir uns beides nicht vorstellen können, aber wir forschen daran, wollen es wissen, verstehen.
Wir gehen zurück auf die Zeitenwende, auf vergangene Epochen, die Babylonier mit ihren Gesetzen, die Ägypter mit ihrer Kultur, den Pyramiden, die Römer mit ihren Bauwerken, die Kelten mit ihrem Schmuck, die Staufer, das Mittelalter, die Reformation, die Neuzeit. Immer mehr wollen wir wissen, immer mehr über uns selbst, unsere Herkunft, auch persönlich. Wir feiern Geburtstage, Jubiläen, wir denken zurück an Kindheit und Jugend, an Stationen unseres Lebens, an wichtige Ereignisse. Vor 60 Jahren – die Konfirmation. Die Kirchenrenovierung war ein Jahr vorher abgeschlossen worden. Die Orgel stand nicht mehr im Chor. Die Inschriften konnten gelesen werden, die Bilder waren freigelegt, das Geläute wieder vollständig mit der 4. Glocke, die die Heimkehrer gestiftet hatten. Die schönen farbigen Fenster im Chor und in der Vollandkapelle erzählen seither biblische Geschichten. – Aber freilich, die Konfirmation feiert man mit 14 Jahren. Da waren Ihnen als Jugendliche noch ganz andere Dinge wichtig: die Angst, beim Aufsagen der Texte einen Fehler zu machen, der Schulabschluss, die Geschenke, die Schulkameraden, die Lehrer, das Fest in der Familie. Nach der Konfirmation, so hatte man gesagt, begann der „Ernst des Lebens“.
Vor zehn Jahren haben wir die Goldene Konfirmation gefeiert. Pfarrer Fröschle, der bei Ihrer Konfirmation Vikar war, war dabei, war aus Alpirsbach gekommen. Damals war auch der Konfirmationsjahrgang 1947 mit in der Kirche zur Diamantenen Konfirmation. Schon wieder 10 Jahre vergangen, nicht spurlos vergangen.
Je älter man wird, desto wichtiger wird es einem, auch Spuren zu hinterlassen: nicht nur darüber nachdenken, was im eigenen Leben Spuren hinterlassen hat, sondern auch darüber, welche Spuren man selbst hinterlässt. Die Lebensarbeit kommt in Blick, das, wo man seinen Beitrag gegeben hat, im Beruf, in der Familie, im Verein, in der Politik, für die Wissenschaft, für die Kunst, für die Musik, für das Handwerk, für Frieden, für Versöhnung, für die Natur, für den Erhalt der Schöpfung, was immer es gewesen sein mag und noch ist, vielleicht war es nur das eine, für einen Menschen da zu sein, der einen gebraucht hat, und auch das wäre ein Lebenswerk.
Von Jesus stammt auch das Wort: Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren. Wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten. – Geheimnis, dass der, der viel von seinem Leben haben will, vielleicht am Ende mit wenig dasteht; ein anderer, der viel gegeben hat, viel von sich gegeben hat, am Ende sagen kann, dass er reich ist.
Nicht das, was wir für uns beanspruchen, für uns auf die Seite bringen, zurücklegen, macht uns wirklich reich, sondern das, was wir von uns investieren konnten, investieren können, ist das, wovon wir eines Tages Früchte sehen.
Das Weizenkorn – für Jesus ein Bild des Sich-in-den-Tod-Gebens. Das Weizenkorn fällt in die Erde, erstirbt und im Ersterben entsteht der neue Halm, entsteht die Frucht.
Geheimnis des Lebens. Wir sind in der Hand Gottes nicht ein Stück Holz, nicht ein Stück Eisen, nicht ein toter Stein, nicht ein Denkmal. Wir sind in der Hand Gottes zu etwas nütze, sind zu gebrauchen, müssen nicht eines Tages zum Alten Eisen gehören, dessen Zeit vorüber ist. Wir sind nicht in unseren guten Jahren zu etwas nütze, erfolgreich, leistungsstark, und dann nicht mehr zu gebrauchen. Das Bild vom Weizenkorn sagt uns, dass dort, wo wir in Gottes Wirken einbezogen sind und darin aufgehen Neues wächst.
Das Bild vom Weizenkorn…
Der Maler, der die Bibelinschriften in die Nordwand des Chors gemalt hat, hat diesem Spruch, so kurz er ist, den zentralen Platz gegeben, als wäre dieses Bibelwort für ihn die Mitte der biblischen Schriften. Es ist ein Wort Jesu und es spricht von ihm, Er spricht von sich selbst, aber das Wort meint auch uns. Es ist ein Wunder, wenn etwas aufgeht von dem, was wir gesät haben. Es ist ein noch größeres Wunder, wenn wir selbst die Saat sein durften, ein Weizenkorn in Gottes Hand – und was daraus wird: auch das ist in Gottes Hand. Amen.