„Nicht sehen, trotzdem glauben.“ Predigt am Sonntag nach Ostern, 12. April 2015

Predigttext: Joh. 20,19-29

19  Es war schon spätabends an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat. Die Jünger waren beieinander und hatten die Türen fest verschlossen. Denn sie hatten Angst vor den jüdischen Behörden. Da kam Jesus zu ihnen. Er trat in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“

20  Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Die Jünger waren voll Freude, weil sie den Herrn sahen.

21  Jesus sagte noch einmal: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so beauftrage ich jetzt euch!“

22  Dann hauchte er sie an und sagte: „Empfangt den Heiligen Geist!

23  Wem ihr seine Schuld vergebt, dem ist sie wirklich vergeben. Wem ihr sie aber nicht vergebt, dem ist sie nicht vergeben.“

24  Thomas, der auch Didymus genannt wird, gehörte zum Kreis der Zwölf. Er war jedoch nicht dabei gewesen, als Jesus gekommen war.

25  Die anderen Jünger berichteten ihm: „Wir haben den Herrn gesehen!“ Er erwiderte: „Erst will ich selbst die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen. Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen. Sonst glaube ich nicht!“

26  Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander. Diesmal war Thomas mit dabei. Wieder waren die Türen verschlossen. Da kam Jesus noch einmal zu ihnen. Er trat in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“

27  Dann sagte er zu Thomas: „Nimm deinen Finger und untersuche meine Hände. Strecke deine Hand aus und lege sie in die Wunde an meiner Seite. Du sollst nicht länger ungläubig sein, sondern zum Glauben kommen!“

28  Thomas antwortete ihm: „Mein Herr und mein Gott!“

29  Da sagte Jesus zu ihm: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!“

 

Liebe Gemeinde,

in meiner Generation haben viele Eltern ihre Söhne Thomas genannt, Thomas, Michael und Andreas hatten mindestens 10 Jahre lang den Spitzenplatz der beliebtesten Vornamen für Jungen. „Tom“ kommt immer noch vor. Der Name Thomas ist mit dieser Geschichte berühmt, bekannt und populär geworden. Manchmal wurde dann aber auch vom „ungläubigen Thomas“ gesprochen und die Jungs, die Thomas hießen, haben sich sicherlich nicht gut gefühlt, in diese Schublade gesteckt zu werden..

Der „ungläubige Thomas“? Das sagt nicht alles. Er war auch der Thomas, der den Finger in die Wunde legen wollte, der sich nicht vorschnell mit einer Antwort zufrieden gab, der seine Fragen nicht hintangestellt hat, der nicht drei Tage nach dem Karfreitag gesagt hat: es war ja gar nicht so schlimm. Schlimm war’s! Entsetzlich! Und nicht so, dass man so einfach drüber weg kommt oder drüber weg gehen könnte.

Aber dann kommt diese wunderbare Ostergeschichte, dass der Auferstandene Jesus dem Thomas erscheint und ihm die Zweifel nimmt. „Mein Herr und mein Gott!“, sagt Thomas jetzt, und das war dann für Thomas das Ostern, gewissermaßen am Sonntag drauf, weshalb dieser Text am heutigen Sonntag, dem Sonntag nach Ostern gelesen wird: Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander.“ – Verspätetes Ostern – persönliches Ostern. Von dem, was uns andere erzählen, liebe Gemeinde, können wir nur bedingt glauben. Irgendwann irgendwie brauchen wir unser eigenes Ostern, müssen selbst eine Erfahrung machen, die uns über die Zweifel hinweghilft. Und, wer weiß, vielleicht mehrmals im Leben, denn die Dinge, über die wir nur schwer hinwegkommen, gibt’s auch immer wieder und meist nicht nur einmal.

Eines muss man dem Jünger Thomas auch bescheinigen und anerkennen: Er war an Ostern nicht dabei, er hat gefehlt, warum auch immer. Die andern Jünger berichteten ihm, und er kann’s nicht glauben. Aber er ahnt vielleicht, dass irgendetwas dran sein könnte an dem, wovon die andern erzählen und was er nicht glauben kann. Er ahnt vielleicht, dass seine Zweifel auch nicht die ganze und die letzte Wahrheit sind, sondern nur seine Sicht der Dinge, und er verabschiedet sich nicht vom Kreis der Jünger und sagt sich und den andern nicht, dass er damit nichts mehr zu tun haben will. Er sieht Platz für sich in diesem Kreis samt seinen Zweifeln, und er bleibt dabei, vielleicht am Rand, aber nicht ausgeschlossen.

So sind dann vor zwanzig, dreißig Jahren die Thomasmessen mancherorts entstanden, Gottesdienste für „Suchende, Zweifelnde und andere gute Christen“ – wie’s in der Ankündigung meistens heißt, Gottesdienste für Menschen, die mit ihren Fragen und mit dem Glauben noch nicht abgeschlossen haben, und das ist doch – dank dieser Geschichte – etwas Verheißungsvolles. – Etwas Verheißungsvolles, wenn Menschen skeptisch sind, aber offen.

Es hört sich dann so an als würde Thomas getadelt: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!“, ein Satz, bei dem ich immer denke, dass er falsch verstanden wird. Denn die Seligkeit besteht ganz bestimmt nicht im „Nicht-Sehen“, sondern im „Trotzdem-Glauben!“

„Glauben heißt nicht wissen“ hört man immer wieder, und manche sagen vielleicht heute noch, dass sie nur glauben, was sie sehen, etwas plumper und platter als Thomas in dieser Geschichte, der immerhin gesagt hat, dass er nach all dem, was er am Karfreitag gesehen hat, nicht einfach glauben kann oder einfach nicht glauben kann. „Nur glauben, was man mit eigenen Augen sieht“ – das ist schon arg dürftig. Wenn man glauben soll, wo das Glauben dem widerspricht, was man mit eigenen Augen gesehen hat und sieht, da beginnt der Zweifel zu nagen, nicht dort, wo man es sich einfach nur bequem macht und die Augen verschließt.

„Glückselig sind die, die trotzdem glauben…“ Das wäre es viel eher: trotzdem glauben, sich nicht den Funken Glauben oder das Licht des Glaubens nehmen lassen, weil man gerade nichts sieht, was diesem Glauben Recht gäbe. Sich den Glauben nicht nehmen lassen, obwohl es in der Welt so zugeht, dass man den Glauben ganz und gar verlieren kann. Wer kann’s denn beweisen, ob nicht morgen etwas geschieht, was ein Wunder ist? Wer kann’s denn beweisen, dass sich Glaube nie mehr lohnen wird? Glückselig sind die, die nicht zynisch werden, glückselig sind die, die trotzdem glauben.

Dann lasst uns darum bitten und beten, dass zur rechten Zeit auch Antwort da ist, dass Vertrauen Bestätigung findet, dass uns Jesus, der Auferstandene begegnet, wie auch immer. Amen.

Lied: Wo einer dem andern neu vertraut…                                     551,1-6

Anspruchsvolle Kirche? Predigt am Sonntag Judika 2015

Predigttext: Markus 10,35-45 (Evangelium)

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Liebe Gemeinde,

das 10. Kapitel des Markusevangeliums beginnt mit den Worten: Und er machte sich auf und kam von dort in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Das ist eine beeindruckende Landschaft. Tief ist der Jordangraben, an dessen Ufer ein schmaler grüner Streifen ist, braun und gelb und grau sind die Farben der Berge im judäischen Bergland oder gegenüber auf der jordanischen Seite des Jordangrabens. Für das Markusevangelium steht diese Ortsangabe aber dafür, dass der Weg Jesu und der Jünger auf Jerusalem zugeht; nicht, um dort schöne Dinge zu erleben, sondern um dort sich der Entscheidung zu stellen.

Unmittelbar vor unserem Abschnitt heißt es

Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem und Jesus ging ihnen voran; und sie entsetzten sich; die ihm aber nachfolgten, fürchteten sich. Und er nahm abermals die Zwölf zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde:

Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und den Heiden überantworten.

Die werden ihn verspotten und anspeien und geißeln und töten, und nach drei Tagen wird er auferstehen.

Damit stellt der Evangelist Markus den Kontext dar, als käme das hintereinander, die Leidensankündigung und die Frage der Jünger nach Einfluss, Rang und Namen. Sie scheinen in einer anderen Welt zu leben. Jesus aber kündigt ihnen an, dass auch sie einen Leidensweg gehen werden. Das Leiden scheint in dieser Geschichte immer deutlicher etwas Notwendiges zu sein, etwas Unumgängliches, um das man keinen Umweg machen darf. Nicht nur: da kommt ihr nicht dran vorbei, nicht nur: das bleibt Euch nicht erspart, sondern es muss sein. Nicht nur: da müsst ihr durch, sondern es ist von einer Taufe die Rede, „es wird Eure Taufe sein“, Eure Wandlung, Euer Eintritt ins Leben.

Vielleicht spüren wir, wie es unangenehm, fast beklemmend wird, wie einem das zu nahe gehen kann, wie man vielleicht umkehren möchte auf einem Weg, den man eingeschlagen hat, und der einem zu steil zu werden droht. – Zurück in die Zeiten der Unbeschwertheit, zurück in die Zeiten der Unbefangenheit, zurück in die Zeit, in der einem viele Wege offen standen und man auswählen konnte, welchen Beruf man ergreifen möchte, wen man heiraten möchte, wo man wohnen möchte, wohin man reisen möchte, was man am Wochenende macht, mit wem man essen geht…

Und selbst, wenn man einen Weg eingeschlagen hatte, war immer noch vieles offen, hat einem das Leben Möglichkeiten gegeben, man durfte Erfahrungen sammeln, Freunde gewinnen, Höhepunkte und Alltag erleben. Irgendwann hat man dann Prüfungen zu bestehen, irgendwann und irgendwie gibt es Bewährungen, kommt es drauf an, kommt es auf einen selbst an, beginnt man wahrzunehmen, dass man dem, was auf einen zukommt, gewachsen sein muss. Man kann nicht ausweichen, und es hat womöglich sein Gutes, dass man nicht ausweichen kann, dass man standhalten muss und standhält.

Es gibt auch das Scheitern. Es gibt das Scheitern im Beruf, das Scheitern in der Ehe. Es gibt das Scheitern, verursacht durch Unglücke oder Krankheiten oder Schicksalsschläge, es gibt das, dass man in die Knie gezwungen wird, dass die Angst über einen kommt, dass man innerlich einsam wird, von allen guten Geistern verlassen, von Gott verlassen – wie es Jesus am Kreuz herausgeschrien hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?

Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

Es wird ernst. Die Jünger möchten etwas geschenkt, was es nicht gibt. Jesus sagt: das könnt Ihr Euch nicht verdienen, das bekommt keiner geschenkt, es wird nicht ausgelost und nicht durch Mehrheitsentscheid zugeteilt in der Herrlichkeit Gottes ganz oben zu sitzen. Es ist unangemessen seine Gedanken zu verschwenden: was wäre wenn… Auf das Was wäre wenn antwortet Jesus: es wird anders kommen.

Vielleicht auch für die Kirche.

Kirche der Freiheithat ein Arbeitspapier geheißen, das vor 10 Jahren durch die Evangelische Kirche Deutschlands gegangen ist, von Leuchtfeuern war darin die Rede, zum Beispiel:

Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten ausstrahlungsstarke Begegnungsorte evangelischen Glaubens schaffen und stärken.

Im Jahre 2030 gibt es zentrale Begegnungsorte des evangelischen Glaubens, die missionarisch-diakonisch-kulturell ausstrahlungsstark sind und angebotsorientiert in einer ganzen Region evangelische Kirche erfahrbar machen. Im Sinne der Stadt auf dem Berge (Matthäus 5,14) zeigt die evangelische Kirche an diesen Orten die Fülle ihrer geistlichen Kraft. Diese Stärkung der Stärken in kirchlichen Zentren wird regional gemeinsam gewollt, weil diese Zentren geistliche Verantwortung für die sie umgebenden Regionen übernehmen.

Das und noch andere schöne und gute und interessante Dinge standen da drin, stehen noch drin, wenn man es lesen möchte, anregend, herausfordernd, in die Zukunft weisend.

Zugleich kommt es mir so vor, kam es mir von Anfang an so vor, als wollte die Kirche wie die beiden Jünger Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus, anspruchsvoll sein. Das sind sie ja, die beiden, sie stehen für die anspruchsvolle Kirche, die sich zeigt, sich nicht geniert, die will, dass man sich sehen lassen kann, die einen Beitrag zum Guten leistet, die sich gegen falsche Bescheidenheit wehrt und höchstens die Befürchtung hat, dass sie unter ihrem Anspruch bleiben könnte. Veränderung ja. Aber bitte nicht Anspruchslosigkeit und nicht Bedeutungslosigkeit! Es hat etwas, es ist verführerisch.

Jesus aber verweist seine beiden Jünger, die anspruchsvoll sein möchten, darauf, dass sich nicht selbst Ansprüche stellen werden, sondern dass Ansprüche an sie herangetragen werden, denen sie sich stellen müssen, dass sie sich diesen Ansprüchen vielleicht nicht gewachsen fühlen werden, dass sie vielleicht unter diesen Ansprüchen zerbrechen könnten. „Könnt Ihr Euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ – Und die Frage, die daraus folgt ist, ob die Zeit einer ohnmächtigen Kirche womöglich schon angebrochen ist, wo sie sich Verfolgung, Vertreibung, Unterdrückung ausgesetzt sieht?

Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

Als wäre diese Welt nicht zu verbessern, als wäre die bessere Welt ohne Gewalt eine Illusion, der man vielleicht manchmal näher ist, und die dann unversehens wieder in die Ferne rückt… Und war nicht die vergangene Woche wieder eine Woche der Gewalttaten? Kein Verbessern der Welt schwebt Jesus vor, sondern das, dass die Kirche in dieser Welt einen anderen Weg geht, dass seine Jünger in dieser Welt einen anderen Weg gehen, dass seine Gemeinde in dieser Welt einen anderen Weg geht:

Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

Freilich, großen Glanz erzeugt das nicht. Aber es hat eine andere, eigene, besondere Schönheit. Und wir sollten in unserer Kirche und in unseren Gemeinden darauf achten, dass das Dienen Anerkennung findet: „einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“, schreibt Paulus.

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele,

Was nicht zuletzt auch uns zugute kommen darf! Indem wir nicht nur dienen, sondern uns auch den Dienst anderer, den Dienst Jesu Christi gefallen lassen, dass uns Erlösung zuteil wird, Erlösung unter der sich das löst, worin wir uns womöglich verkrampft haben könnten. Amen.

Predigt im Gottesdienst auf dem Hardt-/Schönbühlhof
22. März 2015

Das Reich Gottes kann man nicht kontrollieren. Predigt am Sonntag Sexagesimae, 08. Februar 2015 über das Gleichnis vom 4fachen Ackerfeld

Predigttext: Lukas 8,4-8
Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Liebe Gemeinde,
das Gleichnis ist die Antwort. Was aber war die Frage?
Frage und Antwort, Wort und Antwort.
Das, was hier wichtig ist, spielt sich wohl in Frage und Antwort ab,
aber nicht in einem Interview, nicht in einer Schulaufgabe, nicht in einer Problemlösungsstrategie, sondern es ist wie ein Gespräch.

„Wort an Wort“ heißt ein Gedicht der Lyrikerin Rose Ausländer:

Wir wohnen
Wort an Wort

Sag mir
dein liebstes
Freund

meines heißt
DU

Ein Gespräch. Dieses Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld – Teil eines Gesprächs, Gespräch mit vielen.
Lukas schreibt: Als eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis… Ohne Mikrophon, ohne Kanzel, nicht von einem Podium, und doch ist Jesus ein Gegenüber, einer, den sie sehen wollen, hören wollen, erleben wollen, wie er aussieht, was er sagt, seine Stimme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit diesem Gleichnis eine laute Ansage gemacht hätte, kann mir nicht vorstellen, dass es schriftlich herausgegeben wurde an die Menge. Es muss sich herumgesprochen haben als SEINE Weisheit:
„Nein, das Reich Gottes kann man nicht kontrollieren. Du kannst nicht hergehen und den Erfolg messbar machen – wie viele Menschen sind geheilt worden? Wie lange hat die Heilung bei einzelnen angehalten? Wieviel Streit ist geschlichtet worden? Wieviel Streit ist neu entstanden? Wie viele Menschen haben ein besseres Leben? Was ist ein besseres Leben? Wie definiert man das?
Nein, das Reich Gottes ist, wenn die Menschen unter Gott sind und sonst frei, wenn sie unter Gott sind – ohne Angst, wenn sie unter Gott sind und aufrecht!
Das Reich Gottes ist, wenn Menschen nicht mehr schwer tragen an ihren Lasten.“

Und irgendwie war es so, ist es so, dass das in der Nähe Jesu sich ereignet: „Frau, geh hin, Dein Glaube hat Dich gerettet!“ Oder: „Wo sind sie, Deine Ankläger? Hat Dich niemand verurteilt? Dann verurteile ich Dich auch nicht.“ Wo Jesus hingekommen ist, war Hoffnung da. Was mit ihm in Berührung gekommen ist, ist heil geworden. Menschen, die unter etwas oder unter jemand gelitten haben, konnten aufatmen.
Das Reich Gottes: schau hier, und da und auch dorr! – „Aber wie lange hält das?“ – „Sie sind gesund geworden, aber sie werden wieder krank!“ – „Und schau, sie kehren zurück zu ihren alten Fehlern! Sie halten nicht durch!“ – „Was ist aus dem Gelähmten geworden, den Du auf die Beine gestellt hast?“ – „Was ist aus denen geworden, die gestern da waren und vorgestern?“
Jesus lehnt es ab, das Reich Gottes auszumessen, abzuwägen, in ein Raster zu bringen, einer Erfolgskontrolle zu unterwerfen. Keine Quartalszahlen wie an der Börse, keine Jahresstatistik wie auf den Rathäusern und Pfarrämtern, Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Sämann, es fällt etwas auf den Weg, es fällt unter auch die Dornen, es fällt manchmal auf Stein, aber vieles fällt auch auf guten Boden, geht auf und trägt Frucht, so ist das.
Und es setzt auf dieses Gleichnis hin keine Debatte über Optimierung ein, wie man noch mehr rausholen könnte.

Liebe Gemeinde, wenn’s ums Reich Gottes geht und wenn’s um Menschen geht, dann darf es nicht darum gehen, wie man noch mehr rausholen könnte, aus Kindern, aus Arbeitskräften, aus dem Boden, aus dem Kapital, aus was auch immer, aus wem auch immer, dannwird es nicht darum gehen, wie man vorhandenes Potenzial noch besser ausschöpfen könnte. Es geht um Vertrauen, dass Gott sein Ding dazutut zu dem, was wir tun! Vertrauen braucht aber auch guten Boden.
Vielleicht mag es auch gut sein, wenn man über Maßnahmen nachdenkt, über technische Fragen, über Waffen und Kriegsgerät, über Reformen in Griechenland und in der Europäischen Union, vielleicht mag es auch gut sein, wenn man über das Schulsystem nachdenkt und über das Gesundheitswesen, wenn man im Kindergarten für jedes Kind eine Dokumentation anlegt und in der Landwirtschaft den Ertrag steigert. Unser Thema ist das heute nicht! Unser Thema ist Vertrauen und dass Gott nicht die große Unbekannte ist, sondern der, der das Vertrauen lohnt. Amen.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Predigt zum Bibelsonntag 2015 in der Bartholomäuskirche Markgröningen

Wir hören als Predigttext zum Bibelsonntag einen Abschnitt aus dem Brief an die Galater. Dieser Brief des Apostels Paulus an die Galater ist das Thema der ökumenischen Bibelwoche 2015.

Die Galater, an die Paulus schreibt, waren Christen in römischen Provinz Galatien in der heutigen Zentraltürkei, die Hauptstadt schon damals Ancyra, heute Ankara. Es sind Menschen, die sich viele Generationen vorher dort angesiedelt hatten und die auf keltische Söldner zurückgehen, Gallier, Kelten. Sie hatten ihre eigene Sprache. Das Griechische, das Paulus schreibt, wurde von ihnen wahrscheinlich verstanden, war aber nicht ihr eigener Dialekt. Noch Hieronymus schreibt um 400, dass sie neben dem Griechischen ihre eigene Sprache haben.

„An die Galater“ – Wir wissen nicht, an welche einzelne Gemeinde dieser Brief übergeben wurde und in welchen Gemeinden im Ganzen er verlesen werden sollte.

Es ist kein Glückwunschschreiben zum 10jährigen Jubiläum dieser Gemeinden, kein guter Rat, wie sie ihre Mission weitertreiben sollen, kein Dank für große Verbundenheit. Es ist ein Brief aus aktuellem Anlass. Paulus muss einer Entwicklung wehren, die ihn geradezu zornig macht. Er sagt den Galatern, dass sie dabei sind, ein paar Falschaposteln auf den Leim zu gehen, die predigen, dass man erst dann ein richtiger Christ sei, wenn man auch beschnitten wäre und die Gebote des jüdischen Glaubens halten würde, den Sabbat, die Feiertage, die Reinheitsgebote, nichts Falsches essen, nicht Verkehrtes anfassen. Dann wäre also der Glaube an Jesus Christus ein weiteres Gebot, das zu halten wäre nebst vielen anderen Dingen. Wer weiß, wohin das noch führt… Ein grandioses Missverständnis! Paulus besorgt sich Papyrus und Feder, er ist ja Schriftgelehrter und des Schreibens und Lesens kundig, hat schließlich auch studiert; er grüßt die Galater, die ihn noch kennen müssten von früher, stellt sich aber auch noch einmal ausführlich vor, damit sie wissen, wer ihnen da schreibt, weil er offensichtlich von seinen Gegnern als Looser hingestellt wurde, als Schwächling, als zweite Garnitur, als Amateur, als Nobody, weil er Jesus nicht persönlich die Hand geschüttelt hat, sondern sich später erst den Christen angeschlossen hat. Ja, er stellt sich ausführlicher vor als in allen anderen Briefen. Er kämpft um seine Apostelwürde, er argumentiert scharf und klar. Und hoffen wir, dass die Galater ihn verstanden haben und ihm gefolgt sind. Aber wir wissen es nicht.

Predigttext: Galater 5,1-11:
Aufruf zur rechten Freiheit

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.

Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.

Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus nützt die Beschneidung nichts, genauso wenig das Unbeschnittensein, sondern der allein Glaube, der durch die Liebe wirksam ist.

Ihr lieft so gut. Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen? Solches Überreden kommt nicht von dem, der euch berufen hat.

Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.

Ich habe das Vertrauen zu euch in dem Herrn, ihr werdet nicht anders gesinnt sein. Wer euch aber irremacht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.

Ich aber, liebe Brüder, wenn ich die Beschneidung noch predige, warum leide ich dann Verfolgung? Dann wäre das Ärgernis des Kreuzes aufgehoben.

Ja, liebe Gemeinde,

zur Freiheit hat uns Christus befreit! Auf den Gottesdienstprogrammen steht’s klein vorne drauf: 25. Januar – Tag der Bekehrung des Apostels Paulus. Paulus würde demnach wahrscheinlich nicht von seiner Bekehrung reden, sondern von seiner Befreiung, von dem Moment, an dem er aus einem inneren Gefängnis herausgeholt wurde, von dem Moment, an dem sein Fanatismus gebrochen wurde und eine neue Überzeugung heranwuchs.

„Ich eiferte über die Maßen für die Satzungen der Väter“ sagt er, wir haben es in der Schriftlesung gehört. Paulus, „über die Maßen“ überzeugt und ausgerüstet mit einem überdimensionalen Sendungsbewusstsein: „ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum, wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu zerstören suchte“ Davon ist er geheilt. Davon ist er vollkommen geheilt. Damit hat er nichts mehr zu tun. – Und hat jetzt auf einmal doch wieder damit zu tun – auf der anderen Seite, dass da die einen die andern verführen zu einem besseren Glauben, zu einem GlaubenPlus, mit Beschneidung. „Hey! Jesus war auch beschnitten. Meinst Du nicht, dass man wie Jesus sein sollte?“ „Und seine Jünger, Petrus, Jakobus, Andreas, alle. Meinst Du nicht, dass es gut wäre, wie sie zu sein?“ „Denk an Abraham, mein Freund! Heißt es da nicht: »Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch.« Soll das nicht mehr gelten für das neue Volk Gottes zu dem Du gehören willst?“

Ich stelle mir vor, wie sie nachgedacht haben in den Gemeinden Galatiens, wie sie sich das haben durch den Kopf gehen lassen, wie sie es ernst gemeint haben, aber auch gezögert haben. – Die Taufe war doch schon etwas. „Ja, ja, die Taufe…“ – „Aber eigentlich…“ werden diese Brüder gesagt haben, „eigentlich…“ Und die Menschen in diesen Gemeinden, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren, fühlten sich plötzlich gar nicht mehr frei, sondern beklemmt.

Etwas, das es bis heute gibt, dass Glauben mit Beklemmungen verbunden ist.

Wo Glaube mit Beklemmungen verbunden ist, haben ganz andere, Außenstehende, auch wieder Beklemmungen, die es mit ansehen müssen und nicht froh dran werden, und es wird ganz und gar verklemmt;

weshalb Paulus hier keinerlei Verständnis aufbringt, keinen Kompromiss anbietet, sich nicht an einen Tisch setzen will und aushandeln, was jetzt der goldene Mittelweg wäre.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest!

So stehet nun fest und lasst Euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Was heißt das heute, liebe Gemeinde? Was heißt das in christlichen Kirchen, in denen das Thema Beschneidung ja schon kurze Zeit nach dem Galaterbrief kein Thema mehr war. Abgetan. Die Freiheit, die Paulus predigt, hat gesiegt. Aber es scheint, es wäre eine Freiheit, um die man immer wieder kämpfen muss, die man stets von Neuem gewinnen muss, die man nicht ein für alle Male hat, sondern die ergriffen werden will.

„Je suis Charli“ haben Millionen Menschen nach dem Terroranschlag in Paris gesagt und haben sich solidarisiert mit denen, die diesem Terroranschlag zum Opfer gefallen sind. „Je suis Charli!“ Viel weniger Menschen hat man gesehen, die sich mit den jüdischen Opfern derselben Terroraktion solidarisiert haben. Man ist ja im ersten Moment von zweierlei Anschlägen ausgegangen bis man dann schnell ihren Zusammenhang belegen konnte. „Je suis Juif“ – „Ich bin Jude“ Ja, diese Solidarisierung gab es auch, aber weitaus seltener, sie ist nahezu untergegangen.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest!

Am kommenden Dienstag ist der 27. Januar. Es ist der Holocaust-Gedenktag, der Tag, an dem vor 70 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde. „Je suis Juif“ – „Ich bin Jude“. Ich stelle mir vor, es wären in Hitlerdeutschland Millionen auf die Straße gegangen und hätten sich einen Judenstern angeheftet. „Ich bin Jude“ oder wären für andere Verfolgte auf die Straße gegangen. Wäre es dann zur millionenfachen Vernichtung gekommen? Hat da so vielen der Mut gefehlt? Freiheit braucht Mut! Und Freiheit braucht, dass man zusammensteht. „So stehet nun fest!“

 

Was heißt das heute, wenn es nicht mehr um das Thema von damals geht, aber vielleicht um andere Themen und immer noch um die Freiheit und darum, aus Glauben gerecht zu werden und nicht selbst gerecht zu sein?

Bleibt bei Christus, sagt Paulus den Galatern, da habt Ihr alles. Sucht nicht noch irgendwas, was Euch weiterbringt. Es wirft Euch in Wirklichkeit nur zurück. Bleibt bei Christus und kümmert Euch lieber um die, die Euch brauchen: der Glaube, der in der Liebe wirksam ist. Es heißt nicht „Glaube“ und „Liebe“, sondern heißt, dass sich der Glaube als Liebe äußert, erweist, zeigt. Vergesst alles andere, sagt er, der Glaube, der sich als Liebe äußert, ist es, nichts anderes.

Diese Woche war auch der 200. Todestag des Dichters Matthias Claudius, wahrhaft einer der größten, weil einer der bescheidensten. Wir hören nach der Orgelmediation Auszüge aus seinem Brief an seinen Sohn Johannes. Er sagt in diesem Brief: der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der wollen kann, was er tun soll.

Noch einmal: Der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der wollen kann, was er tun soll.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Der Glaube, der in der Liebe wirksam ist. Amen.