Predigt am
16. Sonntag n.Trinitatis,
20. September 2015
Predigttext: Joh 11,1(2)3.17-27.(28-38a)38b-45
1Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta.
(2Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte. Deren Bruder La zarus war krank.)
3Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank.
17Da kam Jesus und fand Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen. 18Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien entfernt 19Viele Juden aber waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders. 20Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, ging sie ihm entgegen; Maria aber blieb im Haus sitzen. 21Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. 22Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. 23Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. 24Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. 25Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe; 26und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? 27Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.
(28Und als sie das gesagt hatte, ging sie hin und rief ihre Schwester Maria und sprach heimlich zu ihr: Der Meister ist da und ruft dich. 29Als Maria das hörte, stand sie eilends auf und kam zu ihm. 30Jesus aber war noch nicht in das Dorf gekommen, sondern war noch dort, wo ihm Marta begegnet war. 31Als die Juden, die bei ihr im Hause waren und sie trösteten, sahen, dass Maria eilends aufstand und hinausging, folgten sie ihr, weil sie dachten: Sie geht zum Grab, um dort zu weinen. 32Als nun Maria dahin kam, wo Jesus war, und sah ihn, fiel sie ihm zu Füßen und sprach zu ihm: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. 33Als Jesus sah, wie sie weinte und wie auch die Juden weinten, die mit ihr kamen, ergrimmte er im Geist und erbebte 34und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh __! 35Und Jesus gingen die Augen über. 36Da sprachen die Juden: Siehe, wie hat er ihn lieb gehabt! 37Einige aber unter ihnen sprachen: Er hat dem Blinden die Augen aufgetan; konnte er nicht auch machen, dass dieser nicht sterben musste? 38Da ergrimmte Jesus abermals und)
(Jesus) kommt zum Grab. Es war aber eine Höhle, und ein Stein lag davor. 39Jesus spricht: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen. 40Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? 41Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. 42Ich wusste, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sagte ich’s, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. 43Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! 44Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! 45Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn. Johannes 11,1(2)3.17-27(28-38a)38b-45
Predigt
Liebe Gemeinde,
Lazarus ist krank. Um ihn steht es nicht gut. Das wird nicht von allein. Die letzte Hoffnung, dass Jesus kommt.
Wenn ich an Lazarus denke, fällt mir so vieles ein, was krank ist, was nicht wieder von allein wird, was düster aussieht. Wenn’s nur nicht wir selbst sind, oder die Kirche, die Kirchengemeinde. Diese Woche kam ein Anruf von einer Mitarbeiterin im Kindergarten: hier ist es nicht fünf vor 12, hier ist es schon 5 nach 12. Wir können nicht mehr. Personalknappheit – und man kann nicht sagen: liebe Eltern, lasst Eure Kinder doch mal eine Woche zuhause, oder es gibt ein paar Tage kein Mittagessen. Zuhause ist ja auch nicht unbedingt alles entspannt.
Im Sozialen geht’s eng zu, ob in den Pflegediensten, in den Pflegeheimen, in den Häusern mit Pflegebedürftigen, in den Familien, wo wir hinschauen… Lazarus ist krank. Es ist das, was man vollends gar nicht brauchen kann, wenn auch noch die guten Leute ausfallen, die, auf die bisher Verlass war, die man anrufen konnte und um etwas bitten konnte, die eingesprungen sind und beigesprungen sind. Jetzt brauchen wir in Markgröningen einen Seniorenrat. Aber wer soll dafür kandidieren? Lazarus ist krank, den man immer fragen konnte, der Freund von Jesus.
Da muss ein Wunder her! Den brauchen wir doch, der muss gesund werden! Lazarus darf nicht sterben! Jesus, wo bist Du? Jesus, beeil Dich!
Zurück nach Deutschland: Ein hoher Beamter tritt zurück, der Leiter des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration. Gerade jetzt, wo täglich tausende kommen. Es geht nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, es geht vielen persönlich an die Grenze, wie es bei den Flüchtlingen selbst an die Grenze geht: Kein Weiterkommen, Stacheldraht, das Meer, Gesetze, kein Geld. Jetzt braucht es die richtigen Leute, Besonnenheit, Glauben, Vertrauen, Gottvertrauen, Mut, Entschlossenheit, Unerschrockenheit. Und Lazarus ist krank.
Der hätte doch Entlastung bringen können, der hatte doch immer Ideen und eine große Zuversicht, dem war nicht schnell etwas zu viel, der hatte gute Kontakte und einen starken Rückhalt in seinem Dorf Bethanien. Lazarus, den kannten alle, und als er tot war, wussten es in Windeseile alle: Lazarus ist gestorben. Welch ein Schock! Welch ein Schmerz! Was soll nun werden?
Und es kamen viele zu Marta und Maria, sie zu trösten wegen ihres Bruders. – „Es tut mir so leid!“ – „Wer soll diese Lücke ausfüllen?“ – „Der wird noch lange fehlen?“ – „Warum gerade er?“
Jesus kommt. Marta sagt: „Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“ Vielleicht sagt sie auch: „Er hat so sehr auf Dich gewartet!“ Vielleicht sagt sie: „Jesus, geh nicht weg! Wir schaffen es nicht!“ Marta trauert und stellt Fragen. Marta trauert um Lazarus. Aber sie sagt etwas, sie redet, sie ist noch nicht verstummt.
Jesus sagt: „Dein Bruder wird auferstehen!“ Für Marta ist das ein schwacher Trost, kein starker Trost. Für alle, die so etwas hören, ist es ein schwacher Trost, kein starker Trost. Was nützt es denen, die jetzt Lazarus vermissen, dass er auferstehen wird irgendwann, irgendwo, irgendwie? Es klingt müde, was Marta antwortet: „Ich weiß wohl dass er auferstehen wird – bei der Auferstehung am Jüngsten Tage.“ Oder ist das nicht nur müde, sondern schon trotzig, ärgerlich?
Jetzt, wo Jesus nach Lazarus fragt und Marta als Frau vor ihm steht, jetzt scheint alles, was ungelöst ist, was die Kräfte aufbraucht, was die Fragen nicht beantwortet, im Hintergrund. Für diesen einen Moment scheint es alles im Hintergrund zu sein; aber es ist nur im Hintergrund. Es nicht weit weg, dass Lazarus fehlt, dass er an allen Ecken und Enden fehlt.
Da helfen die theologischen Ausflüchte nicht: „Du musst jetzt ganz fest glauben“ oder „Alles wird gut!“ „Wir werden ihn nie vergessen!“ „Er wird in unseren Herzen leben.“ Schwacher Trost ist nicht gefragt. Billiger Trost hilft nicht weiter. Und Jesus sagt auf den Satz von Marta, „Herr, ich weiß“ den Satz, der mit „Ich“ beginnt, mit „Ich bin“, den Satz, mit dem er sich ganz weit hinaus wagt, sagt: „Ich verkörpere das!“ „Die Auferstehung, Marta, das bin ich!“
Und damit dieses Wort so verstanden wir, wie es gemeint ist, wird erzählt wie Jesus geweint hat um seinen Freund, wie ihm die Augen übergegangen sind und ihn das nicht unberührt gelassesn hat und wie er Lazarus vom Tod erweckt in dieses Leben und nicht ins Jenseits, in diese Welt und nicht in eine andere Welt. Jesus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben!“ Und er sagt nicht: Ich bin die Auferstehung am jüngsten Tag. Und wer da lebt und glaubt an mich, er wird anderswo und anders weiterleben… Das „anderswo“ und „anders“ sagt er nicht, aber er sagt: „wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst Du das?“ Zu viel für Marta, zu viel für uns. „Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt.“
Lazarus war krank. Lazarus war am Ende. Lazarus war tot. Lazarus hatten sie schon begraben. Von Lazarus hatten sie Abschied genommen und sich in das Unabänderliche geschickt. Von Lazarus hatten sie erzählt, dass es nun auch schon vier Tage her ist und dass das Leben weitergehen muss, trotz der Lücke und irgendwie. – Jesus ist mit diesem Tod nicht einverstanden. Jesus schickt sich nicht ins Unabänderliche, nicht einmal in den Tod, sondern geht hin und ruft ihn zurück ins Leben und er will uns zurück ins Leben rufen. Er will die zurück ins Leben holen, die fertig sind, vollkommen fertig, fix und fertig, die an ihn geglaubt haben, und nicht mehr können. Er will sie nicht tot, will sie nicht tatenlos, nicht sprachlos, nicht reglos und bewegungslos, nicht gedankenlos, nicht glaubenslos, nicht hoffnungslos, nicht freudlos, nicht lieblos, will sie nicht im Grab, will sie mitnehmen in die Auferstehung – jetzt, mitnehmen ins Leben. Nicht später, sondern jetzt!
Diese Geschichte endet unglaublich: „Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.“
Unglaublich, damit alle die das lesen, alle, die diese Geschichte hören, alle, die sich vielleicht in dieser Geschichte wiederfinden, bereit sind, das Unglaubliche zu glauben,
das Unglaubliche, dass es eine Auferstehung ins Leben gibt trotz Krankheit, trotz Kraftlosigkeit, trotz dem, was hoffnungslos erscheint, aussichtslos, wenn nicht ein Wunder geschieht. – Das Unglaubliche glauben! Nicht, weil es spektakulär ist oder der Beweis, dass man Recht gehabt hat. Nur nicht, dass man noch seinen Glauben vor sich herträgt! Sondern das Unglaubliche glauben, dass es in all unserem Siechtum in all unserem Unterliegen, in all unserer Neigung zur Resignation eine Auferstehung ins Leben gibt, selbst dann, wenn schon alles zu spät ist. Für Gott, für Jesus scheint es ein „zu spät“ nicht zu geben, auch nicht, wenn’s vier Tage, wenn’s lange gedauert hat.
Herr Jesus Christus,
nimm uns mit ins Leben,
uns einzelne, uns alle miteinander,
unsere Kirchengemeinden und unsere Kirchengemeinde, unsere ganze Kirche.
Lass nicht zu, dass alles langsam verwest und zerfällt.
Lass auch nicht zu,
dass das gepflegt wird, was kein Leben hat.
Gib neu Deinen Geist, Deine Kraft in unsre müden Glieder! Erweck uns zu neu. Wir bitten Dich! Amen.