Freiheit

Wort der Woche von Pfarrer i.R. Traugott Plieninger

Ich habe eine Weile gesucht, bis mir ein Bild für Freiheit gefallen hat. Nicht die Freiheitsstatue. Es ein Bild von der Ostsee geworden. Sommerwetter, ein paar Wölkchen am Himmel, tiefblaues ruhiges Wasser, ein Segelboot, am Horizont ein größeres Ausflugsschiff. Freiheit ist auch ein Gefühl: frei sein, die Freiheit genießen, ungestört sein, Weite erleben, zur Ruhe kommen.

Wir sagen Freizeit, Freiraum, gehen ins Freie. Freiheit ist ein Grundbedürfnis all dessen, was lebt. Menschen, Tiere, selbst Pflanzen benötigen Freiheit, Freiraum, um sich entfalten zu können.

Sind wir freiheitsliebenden Menschen selbst frei, freie Menschen? Welche Freiheit steht uns zu? Ist mit Freiheit Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Willensfreiheit, Versammlungsfreiheit, Wahlfreiheit gemeint?

Haben wir wirklich die Wahl? Wir können uns unsere Eltern nicht aussuchen, auch nicht den Ort, wo wir geboren werden und nicht die Zeit, in der wir zur Welt kommen. Wir suchen uns unsere Gene nicht aus und sind mit unserem Körper unterwegs, der vollkommen, aber nicht perfekt ist. Täglich stoßen wir an Grenzen und fühlen uns oft nicht frei, sondern eingeengt, befangen. Wie frei sind wir wirklich? Selbst über den Wolken, wo die Freiheit wohl grenzenlos sein muss, ist sie es nicht. Wer ins Flugzeug steigt, tut es mit dem mulmigen Gefühl eines Menschen, der weiß, dass auch das Fliegen viel zur Schädigung des Klimas beiträgt. Und was ist es mit der freien Marktwirtschaft und der freien Fahrt auf Autobahnen?

Matthias Claudius, Dichter und Schriftsteller, schrieb einst an seinen Sohn Johannes: …und der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der da wollen kann, was er tun soll.

Da ist angedeutet, dass uns unsere Freiheit nicht in den Schoß gelegt wird, dass sie anstrengend sein kann. Menschen haben für die Freiheit ihr Leben gelassen, Menschen sitzen für ihre Freiheit und die Freiheit anderer im Gefängnis, in Arbeitslagern und zehren davon, dass sie von uns in Freiheit Lebenden nicht vergessen werden.

Von der Freiheit eines Christenmenschen – hieß eine Schrift Martin Luthers, die die Reformation mit eingeleitet hat. Darin heißt es:


Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

Was sind Ihre Gedanken zur Freiheit?

Evang. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim. Wort der Woche 25.9.-1.10.23 Druckversion

Suchen und Finden

Ein gutes Wort für die Woche – Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim (KW 33/2023)


Suchen und finden. Ein Lebensthema. Für die Zeit der Romantik wurde die Sehnsucht und die Suche nach der blauen Blume das Symbol einer ganzen Epoche. „Fernab liegt mir alle Habsucht: aber die blaue Blume sehn‘ ich mich zu erblicken…“ hatte Novalis geschrieben.


Sehnsucht. Auch das hat mit Suchen zu tun, und mit Finden wollen, vielleicht auch nur ein Bruchstück, ein Fragment finden von dem, wonach wir uns sehnen: nach ein bisschen Glück, nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach Wahrheit, Ehrlichkeit, Anerkennung.

Bittet, so wird euch gegeben, sucht, so werdet ihr finden, klopft an, so wird euch aufgetan, sagt Jesus. Er erweist sich als Schirmherr der Suchenden. Er segnet nicht die, die die Wahrheit besitzen oder schon wissen was recht und gerecht ist, auch nicht die, die sagen »da kannst Du nichts machen; es kommt, wie es kommt…«

Und bedeuten die Worte »sucht, so werdet ihr finden« nicht auch, dass Jesus selbst auf der Suche ist, auf der Suche nach Verbündeten für eine bessere Welt, für das Reich Gottes, für Heil und Gerechtigkeit?!

Wonach suchen wir nicht ständig? Nach dem Autoschlüssel, nach einer Rechnung, die wir weggelegt hatten, nach einem Wort, das uns nicht einfallen will, wonach auch immer; und sind erleichtert, wenn wir das, was wir gesucht haben, schließlich gefunden haben.

Gott segne unser Suchen und Finden und lasse uns von Neuem finden, wenn wir von Neuem suchen. Er segne das Suchen nach Wegen, wo es ausweglos scheint, und segne die Recherche, wo sie der Wahrheit dient. Er segne die Suche nach einem gerechten Urteil, wo Richtende zu richten haben, und begleite die Flüchtenden, die einen Ort suchen, an dem sie willkommen sind, eine neue Heimat. Gott segne unser alltägliches Suchen nach dem, was uns fehlt und woran es fehlt, und schenke uns, dass wir dann und wann etwas finden, wonach wir gar nicht gesucht haben, ein Glück, eine Idee, eine Aufgabe. Gott segne unsere Begegnungen, unsere Bemühungen, unsere Interessen und unser Vertrauen, dass unsere Suche nicht vergeblich ist.

Lob der Pause

In der Musik ist genau definiert, wie lang sie sein muss, die Pause. Es gibt die Viertelpause, es gibt die halbe Pause, einen ganzen Ton Pause oder sogar einen oder mehrere Takte Pause. Nicht kürzer, nicht länger. Aber selbst die kürzeste Pause reicht zum Atemholen.

In der Schule gibt’s die große Pause, die kleine Pause, die 5-Minuten-Pause. Davor und danach ist Unterricht. Pausenlos Unterricht geht gar nicht!

Den Stillstand mögen wir allerdings auch nicht, wenn sich überhaupt nichts bewegt, wenn nichts vorangeht oder am Schluss alles zum Erliegen kommt. Es ist die Pause, die uns guttut und die wir brauchen. Danach geht es weiter!

Das Symbol der Pause ist eine Bank oder ein Snack, eine Tasse Kaffee, bei Wanderungen ein Picknick. Selig, wer sich ein zweites Frühstück genehmigen kann oder dann eine Mittagspause, womöglich eine kleine Siesta.

»…und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen«, sagt Pippi Langstrumpf. Die Pause ist auf alle Fälle frei von jedem Zwang, von jedem »du musst«, und ist eine Erinnerung daran, dass uns Gott nicht geschaffen hat, um etwas zu leisten, sondern um zu leben, zu atmen, zu sehen, zu hören, zu riechen und zu schmecken, schließlich auch um uns oder etwas zu bewegen, etwas zu tun.

Der mich atmen lässt, bist du, lebendiger Gott, /
der mich leben lässt, bist du lebendiger Gott…

Pausen am Tag sind ein Vorgeschmack auf den Feierabend, der Feierabend ein Vorgeschmack auf die Feiertage, den Ruhetag, die Ferien. Ich wünsche Ihnen den rechten Rhythmus für Ihren Alltag, und dass Ihnen die Zeit nicht davonläuft, wenn sie Pause machen.

Wort der Woche,
Ev. Kirchengemeinden Bietigheim-Bissingen
02.07.2023

Alles, was Recht ist!

Predigt zum 3. So. n. Trinitatis beim Kurparkfest Bad Sebastiansweiler

Predigttext: Jona 3,10-4,11

10Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.

Jonas Unmut und Gottes Antwort

1Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2und betete zum Herrn und sprach: Ach, Herr, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. 4Aber der Herr sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst?

5Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6Gott der Herr aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus.

7Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben.

9Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. 10Und der Herr sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?


Wandmalerei Kilianskirche Bissingen an der Enz

Alles, was Recht ist. Gottes überraschende Barmherzigkeit



Liebe Gemeinde hier beim Kurparkfest Bad Sebastiansweiler,

wer diese Geschichte aufgeschrieben hat, wissen wir nicht. Erzählt wird in der 3. Person von Jona, Gott und Ninive. Ninive: Sodom und Gomorra! Babylon Berlin! Paris, New York und Amsterdam macht keinen Unterschied! Mannheim, München, Stuttgart brauchen sich nichts einzubilden! Die sind auch nicht besser …

Das weiß Jona und denkt: „Bei Gott! Jemand sollte mal etwas sagen!“ Aber er ist halt auch nicht besser, und sowieso, er wollte schon längst mal eine Kreuzfahrt nach Tarsis machen. Dort ist die Welt noch in Ordnung.

Jona haut ab. Es holt ihn ein. Gott holt ihn ein, und dann predigt er eben in Gottes Namen, aber deutlich, predigt den Leuten, was die Stunde geschlagen hat: „Last Generation!“ Noch 40 Tage bis zum Untergang! Alles, was Recht ist, so kann’s nicht weitergehen! So wird’s nicht weitergehen!

Womit er nicht gerechnet hatte: Die Leute nehmen es sich zu Herzen. Sie machen nicht einfach weiter, sie halten inne!

Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.

Gottes überraschende Barmherzigkeit

An dieser Stelle, liebe Gemeinde, ist etwas Unglaubliches festgehalten, nämlich dass Gott nicht unumstößlich der konsequente Vollzieher von Recht und Gerechtigkeit ist, der zornige Rächer der menschlichen Schwächen, Unvernunft, Schuld, Bosheit, der dafür sorgt, dass es kein Entrinnen gibt und der Mensch die Konsequenzen seines Handelns zu spüren bekommt. Gottes Barmherzigkeit kommt zum Vorschein. Aber Gott ist auch nicht, wie heutzutage beliebt, einfach der Behüter und Beschützer der Menschen, egal, was er da beschützen und behüten soll.

Hier in der Jona-Geschichte ist beschrieben, dass Gott überdenkt und es nicht so weit kommen lässt, wie es kommen müsste.

Da reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und er tat’s nicht.

Damit kommt Jona nicht zurecht. Er hatte den Untergang angekündigt und möchte nun sehen, was passiert, und als nichts passiert, macht er Gott sogar Vorwürfe.

Ach, Herr, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben.

Jona im Selbstmitleid. (Wenn kein Mensch Mitleid hat, muss man sich wohl selbst bedauern!)

Dann kommt die Geschichte mit dem Rizinus, wunderbar erzählt.

Gott der Herr aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus.

Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus, dass er verdorrte. 8Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben.

Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. Und der Herr sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?

So endet die Geschichte, so endet das ganze Büchlein Jona, und man weiß am Ende nicht, wie sie weitergeht, was aus Jona wird, ob er wieder nach Hause geht oder nach Ninive oder noch einmal nach Tarsis. Wahrscheinlich ist das gar nicht so wichtig.

Überhaupt…

Geht es in dieser Geschichte um Jona oder um Ninive oder um Gott? Oder ist alles ineinander verwoben? Um wen oder was geht es?

Um wen oder was geht es, wenn wieder irgendjemand sagt: So geht es nicht! Alles, was Recht ist!

  • Das sagt im Parlament die Opposition und
  • das sagt die Gewerkschaft, wenn sie einen neuen Tarif will,
  • das heißt es in Betrieben und Familien, in Schulen und Behörden:

So geht es nicht! Alles, was Recht ist!“

Aber wie geht es dann und worum geht es überhaupt?

Der letzte Satz lässt ahnen, es geht um die Menschen und auch um die Tiere, es geht um das Leben und Weiterleben und Überleben und nicht um das Vernichten und Zerstören.

Aber es geht auch um Jona und um jeden einzelnen Menschen für sich, um uns – mit unseren Geschichten von Vater und Mutter, mit unseren Geschichten des Alltags, unseren Aufbrüchen und unseren Anläufen, ums Scheitern und Erfolg haben, um alles, was Recht ist und über das hinaus, was Recht ist. Und wenn es um Jona und um uns geht, dann auch darum, dass Jona lernen muss, dass es nicht nur um ihn geht und wir lernen müssen, dass es nicht nur um uns geht!

Aus der Gegend von Ninive hatten wir in unserer Nachbarschaft ein Flüchtlingsfamilie, Vater, Mutter, drei Kinder: Adil, Anous, Hadi, Hiba, Gina. Eines Tages waren sie weg. Die Behörden hatten festgestellt, dass sie zu Unrecht hier waren. Alles, was Recht ist! Ihr seid zu Unrecht hier! Sie waren über Holland gekommen. Dort sollen sie bleiben. Abgeschoben! Wir haben sie dann einmal in Holland besucht, in Amsterdam, und geschaut, wie es ihnen ge ht. Es warein wunderschönes Wiedersehen.

Es ist, als spräche Gott heute zu uns Europäern, die wir im Schatten sitzen und klagen, weil so viele Krisen sind; als spräche Gott: …und mich sollte nicht jammern der Flüchtlinge, 100 Millionen weltweit, die nicht wissen, wohin; dazu auch das Leiden der der ganzen Schöpfung? Alles, was Recht ist! Was ist Recht?

In dieser Geschichte ist Gott barmherzig. Barmherzig! Nicht unbeteiligt, nicht unberührt, nicht schwach. Gott ist barmherzig, weil er barmherzig sein will!

Aber der Mensch tut sich schwer mit Barmherzigkeit. Der Mensch sagt: Alles, was Recht ist.

Welches Recht hat denn der Mensch?


Das Jonabüchlein endet so, dass der Mensch sich ein Beispiel nehmen soll an Gottes Barmherzigkeit. Vielleicht könnte es in diesem Sinn einmal so weit kommen, dass der Mensch sein vermeintliches Recht nicht nur behauptet, sondern teilt mit allem, was lebt. Amen.

Barmherziger Gott, erbarm dich auch unser, die wir häufig nicht wissen, was rechts oder links ist, und wenn wir es zu wissen meinen, hilf auch uns barmherzig zu sein!

Geh freundlich mit uns ins Gericht, wenn wir meinen, wir seien im Recht! Zeig uns, was recht ist! Wir bitten Dich. Amen!


Plädoyer fürs Warten

Ein gutes Wort für die Woche vom 21. Mai 2023 von Pfr. i.R. Traugott Plieninger

Im Kirchenjahr sind die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten dem Warten vorbehalten. „Die wartende Gemeinde“ ist das Motiv des Sonntags nach dem Fest Christi Himmelfahrt. Was verbinden wir mit Warten? Angenehmes oder eher Unangenehmes? Die Wartemusik am Telefon nervt. Wir warten nicht gern, vor allem nicht, wenn es sich hinzieht. Aber genauso schwer tun wir uns, wenn uns für irgendetwas keine Zeit bleibt.

Warten – Abwarten – Erwarten – Zuwarten – Aufwarten

Das Auto zur Wartung in die Werkstatt bringen

Der Wärter, die Wärterin: sie kümmern sich

Ich habe ein ruhiges Bild für das Warten gewählt. Für vieles brauchen wir Geduld, vielleicht nur ein Quäntchen Geduld oder auch viel Geduld. Hoffentlich ist unsere Geduld nicht zu früh oder im falschen Moment zu Ende und der Geduldsfaden reißt.

Von Himmelfahrt bis Pfingsten sind es 10 Tage. Wie fühlt sich erfülltes Warten an? Dankbar, aufmerksam, gelassen, heiter…

Ich wünsche Ihnen, dass auch das Warten Schönes für Sie bereithält.

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Ruhe finden

Ein gutes Wort für die Woche.
27.02.2023 Ev. Gesamtkirchengemeinde Bietigheim-Bissingen

Beim Stöbern in alten Fotos entdecke ich Bilder, die ich auf einer Reise vor ziemlich genau acht Jahren beim Sonnenaufgang gemacht habe. Die Erinnerungen sind sofort da und verbinden sich mit der faszinierenden Ruhe eines herrlichen Sonntagmorgens. Bei Dunkelheit waren wir aufgebrochen, um rechtzeitig vor Tagesanbruch an einer Aussichtsplattform zu sein und dann zu erleben, wie in kurzer Zeit die Dunkelheit weicht und mit dem Zunehmen des Lichts die Konturen einer weiten Landschaft aus der Dämmerung heraus sichtbar werden.

Der Himmel war wolkenlos. Von Osten her schickte die Sonne ihr Licht voraus bis sie schliesslich ganz zu sehen war. Fasziniert erlebten wir das wunderbare Schauspiel, sprachen nur wenige Worte zueinander, um die Stille nicht zu stören.

„Morning has broken…“ – „Morgenlicht leuchtet…“
Die Melodie des bekannten Liedes kommt beim Betrachten der Bilder wie von innen. Ruhe finden.

*

Mit dem Aschermittwoch hat die Fastenzeit, die Passionszeit begonnen. Der Lärm der närrischen Tage ist verklungen, und ich spüre mein Bedürfnis nach Ruhe. Nicht nach körperlicher Ruhe. Ich bin nicht müde. Es ist eher das Bedürfnis offen sein zu können für etwas, das keine Nachricht enthält, kein Hingucker ist, mich eher als Impuls aus einer verborgenen Wirklichkeit anspricht. Ich lasse meinen Gedanken freien Lauf:

  • Ende Februar, Anfang März… Der Winter ist auf dem Rückzug. Gibt es schon eine Art Bilanz?
  • Der 3. März ist der Internationale Tag des freien Sonntags. Hat das noch eine Bedeutung? Welche?
  • Der 3. März ist auch der erste Freitag im März, an dem wieder Menschen in mehr als 150 Ländern zum Weltgebetstag der Frauen zusammenkommen. Ein Gebet wandert über 24 Stunden um den Erdball … und verbindet Menschen über alle Grenzen hinweg. Dieses Jahr haben Frauen aus Taiwan die Liturgie für den Gottesdienst vorbereitet.

Ich brauche Ruhe, um nachdenken zu können und um das verdauen und verarbeiten zu können, was mich beschäftigt, was mir einfällt und auffällt. Ich brauche Ruhe, und es ist schön, die Ruhe auszuhalten, wenn sie sich – manchmal unerwartet und unverhofft – einstellt. Mein Motto für die Fastenzeit: Ruhe finden! Und ich meine nicht, dass ich in Ruhe gelassen werden will, eher schon Ruhe finden, um gelassen zu werden.

Armenien – Jerewan 18.-22. Mai 2022

Anlass meines Besuchs in Armenien war die Einladung zur 9. Rotary-Distrikt-Konferenz des Distrikts 2452 durch Distrikt Governor Ashot Karapetyan, die er mir gegenüber bei einer Begegnung im Libanon im Oktober 2021 ausgesprochen hat. Aus unserem Rotary-Club Bietigheim-Vaihingen / IWC Ludwigsburg sind wir zu zweit angereist.

Der Rotary-Distrikt 2452 besteht aus Rotary-Clubs in neun Ländern: Georgien, Armenien, Zypern, Libanon, Jordanien, Palästina, Bahrein, Vereinigte Arabische Emirate, Sudan. Bis auf Sudan waren alle Länder auf der Konferenz vertreten. Erstmalig stellte Armenien den Governor, erstmalig fand eine Rotary-Distriktkonferenz in Armenien statt. Konferenzzentrum war das Multi Grand Hotel mit den großartigen Räumen des Pharaon-Komplex. Zur Konferenz gab es für Interessierte ein touristisches Begleitprogramm, das wir intensiv genießen konnten. Sehr schöne Vorab-Impressionen vermittelt das Welcome-Video der Konferenz.

Unser Flug ging abends von Stuttgart über Wien nach Jerewan, insgesamt 4 1/2 Stunden Flugzeit. Die Zeitverschiebung zu Armenien beträgt zwei Stunden, so dass wir morgens um kurz vor 4 Uhr auf dem Flughafen Swartnoz gelandet sind und von dort mit dem Taxi ins Hotel fuhren.

Mittwoch, 18. Mai – Tag 1 vor Konferenzbeginn

Mit einer deutschsprachigen Fremdenführerin starteten wir mit einem Taxi in Richtung Osten, ca. 25km nach Etschmiadsin (Echmiadzin, Էջմիածին . Erste Station war die Kirche St. Hripsime, 7. Jahrhundert.


Nachdem wir soeben einen Jubiläumsband über die Bartholomäuskirche Markgröningen veröffentlicht haben, „750 Jahre Bartholomäuskirche“, wird man hier doch ganz bescheiden. Als in Markgröningen die erste Glocke gestiftet wurde, stand St. Hripsime schon 654 Jahre lang und war nicht einmal die erste oder älteste Kirche in dieser Region. Informationen zu St. Hripisime findest Du u.a. auf den Seiten des Armenian Travel Bureau oder auf einer Übersichtsplattform über die UNESCO Welterbe-Stätten in Armenien.


Nächste Station war die Kirche St. Gayane, unweit von St. Hripsime, ebenfalls aus dem 7. Jahrhundert und ins UNESCO Welterbe aufgenommen (Wikipedia deutsch)


Höhepunkt des Ausflugs war der Besuch in Etschmiadsin, Zentrum der Armenisch-Apostolischen Kirche und Sitz des Katholikos, Oberhaupt dieser Kirche. Die Kathedrale, leider wegen Renovierungsmaßnahmen geschlossen, ist eine der ältesten Kirchen der Welt und ebenfalls eine der UNESCO-Welterbe-Stätten. Der Bau geht historisch zurück auf das Jahr 301, in dem Armenien als erste Nation geschlossen den christlichen Glauben annahm.


Bilder der Kathedrale gibt es zuhauf, Details ohne Ende. Empfohlen sei auch die eigene Website der Stadt mit einem Link zu den für Touristen gefragten Zielen (bitte in den Einstellungen die englischsprachige Version anklicken, falls diese nicht von allein erscheint). Besonders beeindruckt hat mich die Gesamtanlage des Klosterareals mit dem gewaltigen Eingangsportal (Gate of Saint Gregory), das von außen Trdat III und Gregor, den Erleuchter, zeigt, die beiden, die als Gründer der armenischen Kirche angesehen werden. Gregor bringt Trdat III. das Licht des Evangeliums (s. Ökumenischer Namenskalender).


Das Eingangstor, das das Areal von Osten her erschließt, wurde im Jahr 2001 errichtet zum 1700-Jahr-Jubiläum der Apostolisch Armenischen Kirche. Im Innenbereich beieindruckt neben dem Eingangstor ein großer Freiluftaltar, auf dem alle sieben Jahre das besondere Salböl, das Myron, geweiht wird. Was es mit diesem Brauch auf sich hat, der für die weltweite Kirche der Armenier zentral ist, ist auf einem Blog der Diözese Eichstett ausführlich und anschaulich beschrieben.

Am 25. September 2022 wird es wieder soweit sein. Pilger aus der ganzen Welt werden erwartet, wenn hier das Heilige Öl 40 Tage lang zubereitet und geweiht wird. [Blog in englischer Sprache, Kurzfassung mit beeindruckenden Bildern. + Ausführliche Beschreibung des Rituals in englischer Sprache.]

Ausruhen in Etschmiadsin


Zum Abschluss der Tour besuchten wir die Ruinen der Kathedrale von Swartnoz (Zvartnots), von welcher der nahe gelegene Flughafen von Jerewan Zvartnots (EVN) seinen Namen hat. Im Hintergrund sieht man den Ararat, zu dem uns eine weitere Tour am Samstag führen wird.

Jerewan – Yerevan Impressionen

Donnerstag, 19. Mai
Ararat-Brandy und
Konferenzbeginn

Eröffnung der Konferenz um 18 Uhr

Multi Grand Hotel (Konferenzhotel) – Lobby
People of Action Rotary Year 2021-2022

Mit einem bunten Strauß aus Reden, Grußworten, Präsentationen aus Projekten und Begegnungen im Distrikt 2452 wird die Konferenz eröffnet. – Auf einem der Videos entdecke ich mich selbst. Es enthält ein Foto von der Fahrt zur Schneller-School (Libanon) im Oktober 2021.

Die Eröffnung geht nach einer kurzen Pause über ins Welcome-Dinner. Rotarierinnen, Rotarier und Gäste genießen der Eröffnungsabend in bunter Zusammensetzung an ihren Tischen

Freitag, Samstag, 20./21. Mai, Distriktkonferenz mit einer breiten Themenpalette, Referenten, Sprecherinnen und Sprecher aus den verschiedenen Ländern und Regionen des Distrikts und Rotary International

Bilder verschiedener Rede- und Programmbeiträge

Gala Dinner am Freitagabend, Pharaon-Complex, Ramses Hall


Für einen Ausflug nach Khor Virap haben wir am Samstagvormittag auf die erste und auf den Anfang der zweiten Session des Konferenzprogramms verzichtet. – Das Kloster Khor Virap, nah am Ararat gelegen, ca. 50 km südlich von Jerewan nah der türkisch-armenischen Grenze ist mit den Anfängen des Christentums in Armenien in engem Zusammenhang. Gezeigt wird der Kerker, in welchem Gregor der Erleuchtete 13 Jahre gefangen gehalten wurde. Das Kloster ist der dem Ararat am nächsten gelegene Ort Armeniens.


Abschluss der Konferenz – Ausklang beim Armenischen Abend in der Nazani Wine Factory ca. 40 km außerhalb Jerewans


Governor Ashot Karapetyan und der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Gjumri, Alexan Ter-Minasyan, überreichen mir die Konferenz-Gedenkmedaille und laden mich ein, im Rotary Länderausschuss (ICC) Deutschland-Armenien mitzuarbeiten.


Mit dem Armenischen Abend endet die Konferenz. District Governor Elect George M. Azar übernimmt den Governorstab zum 1.7.2022 und lädt zur nächsten Distrikt-Konferenz nach Beirut ein: 11.-13. Mai 2023.

Einige der Konferenzteilnehmer starten am Sonntag zu einer weiteren, zweitägigen Exkursion. Wir sind eingeladen, für den ersten Tag mitzukommen und lernen weitere sehenswerte Orte in Armenien kennen:
Erste Station ist Vernissage Jerewan. Von Jerewan fahren wir zu einer weiteren UNESCO-Welterbestätte, dem antiken Tempel von Garni


Eine besondere Art des Brot Backens lernten wir in der Mittagspause kennen. Der hauchdünn ausgewellte Teig wurde an der runden Wand einer Backgrube gebacken. Zwei Frauen standen /saßen auf dem Boden, die Beine in einer Grube. Die eine wellte den Teig, die andere buk den Fladen in der Grube


Die nächste Station war das in den Fels gehauene Höhlenkloster Geghard, dessen Tradition auf den Beginn der Christianisierung im 4. Jahrhundert zurückgeht. Die Lanze des Thaddäus soll dort als Reliquie verwahrt worden sein. – Viele Touristen besuchen den Ort, besonders aber auch Familien, die in der Kirche ihre Kinder zur Taufe bringen.


Letzte Station unserer Armenienreise ist die Basaltschlucht „Symphonie der Steine“ unterhalb des Garni-Tempels den wir zuvor gesehen hatten – ein imposantes Naturerlebnis. Störend ist allerdings der Verkehr auf der neu erbauten Straße. Von der „Symphonie der Steine“ war während unseres Besuchs nichts zu hören. Unser Bus hielt oberhalb der Schlucht. Wir erkundeten sie zu Fuß. Vielleicht muss man werktags kommen, wenn der Verkehr ruhiger ist.


Ein sehr schönes Video der Gegend findest Du auf YouTube: Fly over Geghard Monastery & Garni Temple von Levon Karapetyan

Schnell sind sie vorüber gegangen, die Tage in Armenien, geprägt von vielen Begegnungen und intensiven Erlebnissen unterwegs. Ein herzliches Dankeschön Governor Ashot Karapetyan und all denen, die die Konferenz vorbereitet haben: Anahit, Sofia und Ani im Besonderen, die sich um alle unsere Fragen und Wünsche gekümmert haben, Sona aus Beirut, die unermüdlich für unser Armenien-Erlebnis ein Highlight nach dem andern in unser Programm gezaubert hat. – Auf Wiedersehen Armenien, Good bye Armenia, Au revoir Armenia! ❤️

Predigt am Sonntag Invokavit, 6. März 2022, in Bissingen an der Enz, Kilianskirche und Martin-Luther-Kirche

Invokavit. Vor genau 500 Jahren war es Martin Luther, der es nicht mehr aushalten konnte und den es nach 10 Monaten in seinem Versteck und Asyl auf der Wartburg nicht mehr gehalten hat. Er verlässt die Burg am 1. März 1522 und kehrt nach Wittenberg zurück ungeachtet der Gefahr, in die er sich begibt, besteigt wenige Tage später die Kanzel. Es ist der Sonntag Invokavit. Acht Tage lang hat er jeden Tag eine Predigt gehalten, die als Invokavitpredigten überliefert wurden – und das wichtigste daran war vielleicht nicht einmal, was er gesagt hat, sondern dass er die Dinge in die Hand genommen hat, dass er gezeigt hat, dass er lebt, dass er kein gebrochener Mann war, sondern zur Sache geredet hat – wie jetzt der ukrainische Präsident – Es ging vor 500 Jahren darum, Dinge zurechtzubringen, die aus dem Ruder gelaufen waren, und die Gemeinde zu festigen. – Luthers Worte zur Sache haben damals ihre Wirkung nicht verfehlt.

Nun haben wir heute wieder den Sonntag Invokavit, versammeln uns hier und anderswo als christliche Gemeinde zum Gottesdienst, zum Gebet und zum Hören auf Gottes Wort, ob es uns etwas zu sagen hätte. Auch wir versammeln uns in einer besonderen Situation: Krieg in der Ukraine. Kiew ist nicht ganz 2000 Kilometer östlich von uns, ungefähr so weit wie Madrid oder Sizilien, aber in die andere Richtung. Das betrifft uns und bedrückt uns. Flüchtende kommen auch nach Deutschland. Geht es uns an?

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im 2. Korintherbrief, Kapitel 6,1-10, wo Paulus den Korinthern ins Gewissen redet und schreibt:

1Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. 2Denn er spricht (Jes 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 3Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; 4sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, 5in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, 8in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; 9als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; 10als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.

in allem erweisen wir uns als Diener Gottes … Was heißt das heute? Was heißt es heute, ein Christ zu sein?

Die Legende von Christophorus ist mir in den Sinn gekommen, die in früheren Zeiten sehr populär war. Ich kenne sie noch aus der Grundschule, aber ihre Beliebtheit geht weit zurück bis ins Mittelalter. Den Namen Christophorus, Christusträger, hat er nicht von Anfang an getragen. Die Legende wird in der Legenda aurea [1] so erzählt, dass er von gewaltiger Größe war, mit einem furchtbaren Angesicht, den es zuhause nicht gehalten hat und der den mächtigsten König suchen wollte, um bei ihm zu bleiben. Eines Tages aber sang vor dem König ein Spielmann ein Lied, darin des Teufels Name gar oft genannt war. Da nun der König ein Christ war, zeichnete er seine Stirn mit dem Zeichen des Kreuzes, so oft des Teufels Name genannt war. – Christophorus fragt nach, der König weicht aus und gibt schließlich zu: „Wann ich den Teufel höre nennen, so segne ich mich mit diesem Zeichen; denn ich fürchte, dass er sonst Gewalt gewinne über mich und mir schade.“ Da trennen sich ihre Wege. Es gibt einen Mächtigeren als den König. Christophorus sucht nun den Teufel, findet einen Ritter wild und schrecklich anzusehen, und begibt sich in seinen Dienst. Ich suche den Herrn den Teufel denn ich wäre gern sein Knecht. Sprach der Ritter »Ich bin der, den du suchst… «

Wir sehen einen Menschen auf der Suche, wem er dienen möchte. Ein einziges Leben haben wir, und es ist nicht egal, wem wir es widmen, wem wir dienen. Die Christophoruslegende erzählt von einem Menschen auf der Suche nach einer Herausforderung, die es wert ist, dass er sich ihr stellt, und er gerät bei seiner Suche an den Teufel, an den Bösen, das Böse.

Da sie nun mit einander dahin zogen, kamen sie einst auf eine Straße, da war ein Kreuz am Wege erhöhet. Alsbald der Teufel das Kreuz sah, floh er voll Furcht und ließ die Straße und führte Christophorus zur Seite einen rauen und wüsten Weg, und darnach wieder zu der Straßen.

Der Teufel ist hier der, der auf Abwege führt und der einen Bogen um das Kreuz macht. Christophorus spürt, dass etwas nicht stimmt und gibt sich nicht zufrieden, bis er die Wahrheit erfährt.

Es ist ein Mensch gewesen, Christus mit Namen, den hat man ans Kreuz geschlagen; und so ich dieses Kreuzes Zeichen sehe, so fürchte ich mich sehr und muss es fliehen. – Sprach Christophorus »So ist dann jener Christus größer und mächtiger denn du, so du sein Zeichen so sehr fürchtest«

Er gibt dem Teufel Lebewohl und sucht lange Zeit, ob ihm jemand von Christus möchte Kunde geben. Zuletzt kam er zu einem Einsiedler, der predigte ihm von Christus und unterwies ihn mit Fleiß im Glauben. Und sprach zu Christophorus »Der König, dem du dienen willst, begehrt, dass du viel fastest«. Christophorus antwortete: »Er fordere von mir ein ander Ding, denn dies vermag ich nicht zu tun«. Sprach der Einsiedler »Es ist not, dass du viel betest«. Antwortete Christophorus »Ich weiß nicht, was das ist, und kann ihm darin nicht folgen«

Fasten und Beten ist also wohl christlich, aber vielleicht nicht jedermanns Sache, und Christophorus muss es nicht lernen, muss sich nicht mit 7 Wochen ohne befassen und nicht einmal das Vaterunser lernen.

Der Einsiedler sagt ihm: »Weißt du den Fluss, darin viel Menschen umkommen, so sie hinüber wollen fahren>?« Antwortete Christophorus »Ja, ich weiß ihn«. Und der Einsiedler sprach »Du bist groß und stark: setze dich an den Fluss und trage die Menschen dahinüber, so wirst du Christus dem Könige gar genehm sein, dem du zu dienen begehrst; und ich hoffe, dass er sich dir daselbst wird offenbaren«. Sprach Christophorus: »Das vermag ich wohl und will ihm hierin dienen«. Also ging er zu dem Fluss und baute sich am Ufer eine Hütte. Er nahm eine große Stange in seine Hand statt eines Stabes, darauf stütze er sich im Wasser und trug die Menschen alle hinüber ohn Unterlass.

*

In allem erweisen wir uns als Diener Gottes, schreibt Paulus, und zählt auf, was ihm alles widerfahren ist und widerfährt, ein langer Katalog: in großer Geduld, in Bedrängnissen,… Alles nimmt er in Kauf um dieses Dienstes willen. … in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten GerüchtenAls die Sterbenden, und siehe, wir leben.

Es ist gut, liebe Gemeinde, wenn wir wissen, was wir tun müssen, wenn wir uns nicht zu sehr mit unseren Ängsten und Sorgen und Befürchtungen befassen, nicht zu sehr mit Fitnesstraining, Freizeitprogramm, Work-Life-Balance, nicht zu sehr mit uns selbst, sondern mit dem, was wir tun können.

Der Einsiedler hat Christophorus als erstes empfohlen zu fasten. – Und wer nun sieben Wochen bis Ostern – oder für die Dauer des Krieges oder für irgendeine Not fasten kann, der soll das tun! 7 Wochen ohne – in Solidarität mit den Menschen, die nun den Krieg erleiden oder in Solidarität mit den Menschen, die hungern. Wer nicht fasten kann, kann etwas anderes.

Beten. Friedensgebete halten, zu Friedensgebeten gehen. Und vielleicht werden auch Solidaritätskonzerte zu Gebeten! Vielleicht kann man sein Inneres nach außen kehren und zeigen, dass man nicht unberührt ist von dem, was man erfährt. Herr, erbarme Dich! Kyrie eleison! Und stets ist das Gebet eine Haltung, eine innere Zwiesprache, ein Reden des Herzens, wie Luther sagt. Aber wer nicht beten kann, kann etwas anderes.

Spenden, Hilfsbereitschaft zeigen! So wie Christophorus den Menschen über den Fluss geholfen hat, können wir den Menschen, die hier ankommen, in ein neues Leben helfen. Vielleicht können wir nur wenig tun, aber zumindest wie Christophorus und wie Paulus können wir unterwegs sein mit der Frage, wem wir dienen, bis wir den Platz gefunden haben, an dem wir gebraucht werden.

Die Christophorus-Legende geht so weiter, dass ein Kind ihn ruft, das er zunächst gar nicht gesehen hatte. Erst als es zum dritten Mal ruft, nimmt er es wahr. Christophorus nahm das Kind auf seine Schulter, ergriff seine Stange und ging in das Wasser. Aber siehe, das Wasser wuchs höher und höher, und das Kind ward so schwer wie Blei. Je weiter er schritt, je höher stieg das Wasser, je schwerer ward ihm das Kind auf seinen Schultern; also dass er in große Angst kam, und fürchtete, er müsste ertrinken. Und da er mit großer Mühe durch den Fluss war geschritten, setzte er das Kind nieder und sprach »Du hast mich in große Gefahr gebracht, Kind, und bist auf meinen Schultern so schwer gewesen: hätte ich alle diese Welt auf mir gehabt, es wäre nicht schwerer gewesen«. Das Kind antwortete »Des sollst du dich nicht verwundern, Christophorus; du hast nicht allein alle Welt auf deinen Schultern getragen, sondern auch den, der die Welt erschaffen hat. Denn wisse, ich bin Christus, dein König, dem du mit dieser Arbeit dienst.«

„Wer ein Menschenleben rettet, dem wird es angerechnet, als würde er die ganze Welt retten. Und wer ein Menschenleben zu Unrecht auslöscht, dem wird es angerechnet, als hätte er die ganze Welt zerstört“ heißt es im Talmud.

Ich denke, nur das hilft uns in dieser Gefahr, in der wir heute stehen und in der die Welt heute steht, dass wir unseren Dienst nicht verlassen, dass wir uns ansprechbar zeigen und unsere Antwort geben, sei es im Fasten, im Beten, im Handeln.

Zum Schluss möchte ich an den Anfang des Predigttextes erinnern, der lautete:

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht (Jes 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!

Tag des Heils? Ist das nicht zynisch?

Nein. Wenn im Unheil dieser Welt ein Licht aufscheint, wenn es so sein kann, dass Menschen nicht nur Verzweiflung empfinden, sondern Aufatmen, Erleichterung, Frieden im Kleinen, wenn etwas Aussicht hat auf Heilung, sodass man von einem Tag des Heils wieder sprechen könnte, dann ist es nicht zynisch. Um das lasst uns bitten und dafür lasst uns handeln. Amen.


[1] Die Legenda aurea des Thomas von Voragine. Aus dem Lateinischen übersetzt von Richard Benz. 1955 Lambert Schneider, 111993, S. 498ff

Traum, Alptraum, Wirklichkeit…

Kilianskirche Bissingen/Enz

Predigt in der Kilianskirche und in der Martin-Luther-Kirche Bissingen
am 6. Februar 2022
(IV. Sonntag vor der Passionszeit)

Predigttext (Matth. 14,22-33)

22Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 23Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. 24Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen. 25Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 27Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! 28Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

Liebe Gemeinde,

was ist das, was uns hier erzählt wird? Eine Geschichte, die sich irgendwann ereignet hat, eine wirkliche Geschichte? Oder die Erinnerung an eine Geschichte? Ist es ein Traum, ein Alptraum? Vermischen sich hier die Realitäten? Auch im Traum erleben wir eine Wirklichkeit, erschrecken, erleben Angst und erwachen aus der Angst.

Nur das Matthäusevangelium kennt diese Geschichte vom sinkenden Petrus. Nur das Matthäusevangelium kennt auch den Taufbefehl: Gehet hin in alle Welt, machet zu Jüngern alle Völker, tauft sie… – Ist diese Geschichte für den Evangelisten die Geschichte von der Taufe des Petrus? Erzählt sie seinen Untergang, seine Rettung…? Erzählt sie etwas von Petrus, wo er durchmusste, um das zu werden, was er später war, um das werden zu können, was er später war?

Hat er das gebraucht, Petrus, dass er, der sich stark gefühlt hat, im Glauben stark, der darauf vertraut hat, mit seinem Glauben auch übers Wasser gehen zu können, wenn Jesus ihn ruft? Hat er es gebraucht, dass es ihn kalt erwischt hat mit dem Verlust des Glaubens in einem einzigen Moment, Zweifel, Angst, Todesangst, das Verloren Sein in der Nacht? Und den dann doch etwas gerettet hat, Jesus selbst, dessen Hand er ergreift als es schon fast zu spät ist.

Wer denkt da nicht zugleich an die Menschen in überfüllten Flüchtlingsbooten, die versuchen, ihr Leben zu retten, indem sie sich aufs Meer wagen? Nur von denen, die gerettet wurden, kennen wir vielleicht ihre Geschichten, nicht aber von denen, die ihr Grab im Meer gefunden haben, die niemand gerettet hat.

Wie erzählen die Geretteten ihre Geschichte? Wie erzählen sie sie am Tag der Rettung und wie nach einem Jahr? Wie erzählen sie sie nach Jahren und wie im Rückblick auf ihr Leben?

Es fühlt sich an, als hätte sich in dieser Geschichte vom sinkenden Petrus vieles verdichtet, was im Leben geschehen ist, geschehen sein kann. Sie besteht aus einzelnen Bildern. Zuerst Jesus, der sich zurückzieht, der auch die Jünger nicht um sich haben will, der die Einsamkeit sucht: … stieg auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.

Stille.

Das andere Bild war schon angelegt und tritt jetzt in den Vordergrund: die Jünger, die in einem Boot sitzen, alle in einem Boot und aufs andere Ufer zusteuern: Es ist das Bild der Jünger, die für eine Überfahrt, für ein Unternehmen, ein Vorhaben ohne Jesus unterwegs sind. Immer wieder hat er sie losgeschickt, damit sie es lernen, ohne ihn unterwegs zu sein, auf den Straßen des Lebens und im Boot. Aber dieses zweite Bild verwandelt sich unversehens ins Bedrohliche, wandelt sich extrem ins Bedrohliche. Aus der Überfahrt wird ein nächtliches hin und her geworfen Sein inmitten furchtbarer Wellen, und schon fühlt es sich nicht mehr an wie auf dem See Genezareth am Fuß des Golan, sondern viel eher wie mitten im großen Ozean.

Das dritte Bild beschreibt die vierte Nachtwache, in der man dem Gefühl ausgeliefert ist, dass die Nacht lang ist, unendlich lang, und in der unendlich langen Nacht sehen sie eine Gestalt: …und schrien vor Furcht! Männer! Sonst starke Typen, die in ihrer Angst meinen, einem Dämon zu begegnen, einem Nachtgespenst.

Dann Jesus: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht! – und die Geschichte geht weiter, wie wir sie kennen und wie sie uns zugleich wirklich und unwirklich vorkommt.

Am nächsten Morgen wird sie nicht in der Zeitung stehen. Aber viele Geschichten, die in der Zeitung stehen und noch mehr Geschichten, die in keiner Zeitung stehen, wird man mit dieser Geschichte in Verbindung bringen können: Was Menschen durchgemacht haben, worin sie zu versinken drohten, in der Arbeit, in der Trauer, in Überforderung, Menschen, denen man zugetraut hatte, dass sie übers Wasser gehen oder die sich das selbst zugetraut hatten. Und dann war der Halt weg, der Boden unter den Füßen schwankend, das Selbstvertrauen zusammengeschrumpft auf ein Nichts, das Seil nicht zu greifen.

*

Am anderen Morgen war da die Erinnerung, dass es die Hand Jesu gewesen sein musste, die Petrus gehalten hat. Am anderen Morgen war da auch die Erinnerung, dass wie durch ein Wunder der Sturm sich gelegt hat.

*

Aber es ist da noch etwas anderes: solche Erfahrungen nimmt man in sein weiteres Leben anders mit als die Erinnerung an einen schönen Urlaub, anders als die Erinnerung an eine Bootsfahrt, die sich dann als kleine Herausforderung entpuppt hat. Es sind Geschichten von Dingen, die man durchgemacht hat, die man verarbeiten muss. Der Evangelist Matthäus wollte in seinem Evangelium auf diese Geschichte nicht verzichten. Als einziger nimmt er sie auf in seinen Text. Dass er sie aufschreibt und überliefert, ist Teil dessen, dass man solche Erfahrungen verarbeiten muss, sie immer wieder neu durchdenken –, und immer wieder kommen sie hoch. Man muss es manchmal zulassen, dass sie wieder hochkommen, oder manchmal unterdrücken, muss darüber reden und kann vieles vielleicht doch nicht richtig erzählen, weil es noch viel schlimmer war oder viel wunderbarer: Kriegserfahrungen, Erfahrungen von Verlust, von Angst, Verzweiflung, Nicht-Weiter-Wissen, aber Weiter-Müssen. Und ebenso sind es Erfahrungen der Rettung, des Erwachens ohne Angst, des Geborgen-Seins, Erfahrungen, dass das Leben neu geschenkt ist, die man verarbeiten muss. Wie erzählt man sie?

*

Noch eines gehört zu dieser Geschichte: Petrus wird nicht in erster Linie als der gezeigt, der in der Kirche eine steile Karriere gemacht hat, der es zum Stellvertreter Christi gebracht hat. Ganz andere Seiten gehören zum Bild dieses Jüngers.

Da ist auch der Aussteiger: Petrus, der in dieser Geschichte versucht, das sinkende Boot zu verlassen – nicht auf Teufel komm raus, sondern in Selbstüberschätzung. Als Aussteiger scheitert er: „Herr, rette mich!“

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Die Kirche – seit der Reformation denken wir, wenn es um Petrus geht, an die katholische Kirche, aber bis zur Reformation haben wir mit der katholischen Kirche eine gemeinsame Geschichte und sind einander bis heute als Konfessionen verwandt und verbunden. Die Kirche hat das Papstamt als Petrusamt verstanden – und sich selbst als das Boot, das ans andere Ufer unterwegs ist. In unseren Tagen ist die Kirche erneut in schwerer See unterwegs. Es ist nicht nur einer, der aussteigt, es sind viele. Sie sagen, sie können auch ohne Kirche glauben und verlassen das Boot. – Noch mehr in schwerer See ist der emeritierte Papst Benedikt, der nicht mehr souverän ist, zugleich ein alter Mann. Wird das Boot wieder in ruhiges Fahrwasser gelangen, ihr Petrusnachfolger wieder Hirte sein können? Wann ist der Sturm gestillt – und von wem?

*

Am Ende der Geschichte wird nicht geschildert, wie sie ankommen. Es wird nicht bis zu einem Happy End erzählt. Wir sehen die Jünger nicht tropfnass und erschöpft aus dem Boot steigen und Interviews geben, erfahren nicht, dass sie sich nun erst einmal erholen müssen. Die Geschichte endet mit dem Satz: Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!“ Das erinnert an den Chor in der griechischen Tragödie, der kommentiert, an den Chor im Weihnachtsoratorium, der die Geschichte so einrahmt, dass sie erst zum Oratorium wird. Am meisten erinnert mich dieser Schluss an das Halleluja im Messias von Georg Friedrich Händel: Am Ende die Anbetung, als wären alle Fragen darin aufgehoben.

Dann kommt die nächste Geschichte: Im Evangelium – oder hier bei uns, und immer wieder die Frage, wo Jesus ist, und ob er bei uns ist und wie wir mit ihm und ohne ihn durchs Leben kommen. Amen.