Was kommt danach? Wie geht es weiter? Predigt zum Pfingstfest 2015

Predigttext: Johannes 14, 23-27

23Jesus antwortete ihm: »Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben. Und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

24Wer mich nicht liebt, wird sich nicht nach meinem Wort richten. Und das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir selbst. Es ist das Wort des Vaters, der mich gesandt hat.

25Ich habe euch das gesagt, solange ich noch bei euch bin.

26Der Vater wird euch den Beistand schicken, der an meine Stelle tritt: den Heiligen Geist. Der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe.

27 Frieden hinterlasse ich euch: Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch keinen Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und fürchtet euch nicht.

Predigt

Liebe Gemeinde,
was kommt danach? Nach Karfreitag kommt Ostern, nach Ostern kommt Himmelfahrt, nach Himmelfahrt kommt Pfingsten, was kommt danach? Nach Pfingsten Trinitatis, Fronleichnam, es kommt der Sommer. Nach Pfingsten kommen auch die Pfingstferien, in denen viele verreisen, dieses Jahr kommt der Kirchentag nach Stuttgart.

„Pfingsten ist der Geburtstag der Kirche“, heißt es oft, und wenn es ein Geburtstag ist, muss man ihn feiern. So passiert es vielerorts, dass die Kirche versucht, sich selbst zu feiern; aber so richtig ausgelassen wird es nicht. Pfingsten wird selten eine Kirchweih, kaum einmal eine Kirbe. – Immerhin: etwas Besonderes dieses Jahres sei am Rande bemerkt: in Köln-Stammheim wurde ein Gemeindezentrum mit Kirche neu erbaut, die Immanuel-Kirche, und für diesen Kirchenbau hat das Architekturbüro in der vergangenen Woche den deutschen Architekturpreis 2015 bekommen. Zuvor schon gab es den Deutschen Holzbau-Preis für diesen Kirchenneubau, denn sie ist in Holzbauweise erstellt. Ev. Brückenschlag-Gemeinde heißt die Gemeinde. Bemerkenswert, wenn eine Gemeinde so heißt, bemerkenswert, wenn in unseren Tagen eine Kirche neu erbaut wird, sichtbares Zeichen dafür, dass die evangelische Kirche nicht nur Kirchen verkauft und aufgibt, auch nicht nur renoviert, sondern noch baut wie sie es jahrhundertelang getan hat.

Der Predigttext aber ist kein Text für eine Festansprache, keine Grundlage für eine Geburtstagsrede. Kein Pathos, kein Applaus, keine Festmusik und keine Ehrengäste haben da Platz. Es ist eher ein Wort in die Krise hinein, ein Wort für Nachfolger Jesu, denen er ankündigt und sie darauf vorbereitet, dass er nicht mehr da sein wird. Und dann?

„Was kommt dann?“ – „Was kommt danach?“ Eine Frage, die uns häufig begegnet.

Die Frage stellt sich, wo Einschnitte im Leben sind, wo es noch nicht klar ist, wie es weitergeht, wo es möglicherweise schwierig wird. „Was kommt danach?“ fragen die Jünger Jesu, weil es ja weitergehen muss und weil vielleicht schon einer gedacht hat oder gar gesagt hat: „So kann es nicht weitergehen.“ Die Antwort Jesu darauf, sein Vermächtnis gewissermaßen: sie sollen ihn im Herzen behalten, ihn lieben, lieb behalten, für ihn brennen, die Liebe zu ihm praktizieren und darauf vertrauen, dass Gott ihnen das geben wird, was sie brauchen, den Heiligen Geist vor allem.

„Was kommt danach?“ und „Wie kann es weitergehen, wenn es so nicht weitergehen kann?“ Es sind auch die Fragen, die sich heute noch vor dem Pfingstfest stellen, und die Antwort Jesu hat uns heute noch etwas zu sagen.

Die evangelische Kirche bereitet sich seit nunmehr schon fast 8 Jahren mit einem sehr großen Aufwand auf das Reformationsjubiläum 2017 vor. „Reformationsdekade“ heißt der Zeitraum von 10 Jahren, auf dieses Jubiläum hin zu arbeiten, sich mit den Themen auseinanderzusetzen, die die Reformation mit sich gebracht hat. 500 Jahre seit Luthers Thesenanschlag sind vergangen. Es wird vor allem dann im Jahr 2017 eine Fülle von Veranstaltungen, Fernsehsendungen und Zeitungskommentaren geben, eine Fülle von Gottesdiensten und Veranstaltungen und Reformationsfeiern landauf, landab. Es soll einen bundesweiten Feiertag am 31. Oktober 2017 geben, einmalig und großartig. Aber neulich habe ich schon einen Artikel in einer Zeitung entdeckt, in dem stand, dass die evangelische Kirche, „wenn einmal das Reformationsjubiläum gefeiert wäre“, ihren Standort in der Gesellschaft neu finden und bestimmen müsste.

„Was kommt nach dem Reformationsjubiläum?“ Was ist, wenn das vorbei ist? „Wie kann es weitergehen mit der Kirche?“

Hier in Markgröningen sind wir ganz normal im Trend und verlieren ungefähr 1% unserer Gemeindeglieder jedes Jahr, dieses Jahr haben wir eine halbe Pfarrstelle verloren. Wie wird es weitergehen mit der Kirchengemeinde Markgröningen? Wie mit der Evangelischen Kirche in Deutschland, wie mit den christlichen Kirchen in Europa? Werden sie noch eine Bedeutung haben?

Die Kirche weltweit? Die katholische, römische Kirche? Die orthodoxen Kirchen? Die Pfingstkirchen? Die Freikirchen? Wird die Kirche noch irgendwo das Salz der Erde sein können, das Licht der Welt? Weht noch der Geist von Pfingsten? Gibt es noch Aufbrüche? In den Schlagzeilen sind heute eher die Berichte, wo Christen, Kirchen, Gemeinden in Not sind, wo sie Nachteile in Kauf nehmen, Bedrängnis erfahren, Anschläge erleben, verfolgt werden, vertrieben werden, den Tod erleiden, wobei Christen nicht die einzigen sind, denen das widerfährt.

Werden wir uns immer wieder auf den besinnen können, der sagt:

Frieden hinterlasse ich euch: Ich gebe euch meinen Frieden. Ich gebe euch keinen Frieden, wie ihn diese Welt gibt. Lasst euch im Herzen keine Angst machen und fürchtet euch nicht.

Kirche, liebe Gemeinde, kann nicht Kirche sein, wo sie verzagt ist, kann nicht Kirche sein, wenn sie verzagt ist. Eine verzagte Kirche ist eine ungläubige Kirche. Wie passt das zusammen, auf den auferstandenen Herrn zu vertrauen und verzagt zu sein? Man mag sich erinnern an das Stuttgarter Schuldbekenntnis, das vor 70 Jahren im August 1945 gesprochen wurde, wo der Rat der Evangelischen Kirche Deutschland vor den Vertretern der Weltgemeinschaft der Kirchen ausgesprochen hat: „…wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben…“ Kirche, die sich anklagt ob ihrer Verzagtheit, Kirche, die ihre Schuld bekennt, die in ihrer Verzagtheit bestanden hatte.

Freilich: Ein einzelner Mensch mag das kennen, verzagt zu sein, ein einzelner, eine einzelne wird das erleben, erfahren, durchleiden. Christen eignen sich nicht für’s Heldentum, sind nicht stark wie Siegfried und unverletzbar. Christen erleben sich schwach, erleben sich in Schwachheit. „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ hieß vor 2 Jahren die Jahreslosung. Aber die Verzagtheit kann nicht das Glaubensbekenntnis der Kirche sein, die Mutlosigkeit nicht auf die Fahnen der Kirche geschrieben.

Grund zur Verzagtheit wird es immer geben, Grund sich zu fürchten wird es immer geben. In der Welt habt Ihr Angst, sagt Jesus, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Jeden Grund zur Verzagtheit sollten wir ernst nehmen – und uns ermutigen zum Glauben. Verdrängen sollten wir nicht, was Angst machen kann, aber der Angst widerstehen und der Verzagtheit entgegentreten, uns gegenseitig ermutigen, füreinander einstehen, füreinander beten und am meisten für die Bedrängten und Bedrohten.

Was kommt danach? war unsere Eingangsfrage. Und die Antwort ist, dass das, was danach kommt, nicht unsere Sorge zu sein braucht, sondern das, dass wir als Gemeinde und Kirche Jesu Christi ihn im Herzen behalten und uns öffnen für den Geist, den Gott heute noch schenkt. Amen.

Der durchlässige Himmel. Predigt am Fest Christi Himmelfahrt, 14. Mai 2015

Predigttext: Lukas 24,44-53

44Jesus sprach zu seinen Jüngern und denen, die bei ihnen waren: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Es muss alles erfüllt werden, was von mir geschrieben steht im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen. 45Da öffnete er ihnen das Verständnis, sodass sie die Schrift verstanden, 46und sprach zu ihnen: So steht‘s geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; 47und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem 48und seid dafür Zeugen. 49Und siehe, ich will auf euch herabsenden, was mein Vater verheißen hat. Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.

50Jesus führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie. 51Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. 52Sie aber beteten ihn an und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude 53und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.

Predigt

Liebe Gemeinde,

denen, die an Jesus glauben sollten und glauben wollten und die ihn nie gesehen hatten, wird diese Geschichte erzählt. Sie steht hier am Ende des Lukasevangeliums – und derselbe Autor erzählt die Geschichte noch einmal am Anfang seines zweiten Werkes, seines zweiten Bandes gewissermaßen, am Anfang der Apostelgeschichte. So weist Lukas schon im Erzählen der Geschichte darauf hin, dass sie ein doppeltes ist, ein Ende und ein Anfang.

Ein Ende, ganz unspektakulär, eine Ortsangabe: Betanien, ein kleines Dorf außerhalb von Jerusalem, am Rand der Wüste Juda, wo sie immer wieder gewesen waren. Jesus scheidet von seinen Jüngern mit der Segensgeste, er hob die Hände auf und segnete sie. Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.“ Sie werden weiterführen, was er begonnen hat. Sie werden mit dem leben, was er ihnen anvertraut hat. Sie stehen auf einmal allein da, ohne ihn, allein auf weiter Flur, allein in einer weiten Welt, allein, aber mit einer Seelenruhe und Gewissheit, dass sie nicht verlassen sind. Sie „kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude.“ Nicht mit großer Ratlosigkeit. Wie kann das sein?

Es ist das, was mich an diesem Text am meisten bewegt: „Nicht mit großer Ratlosigkeit.“ Wie kann das sein? Und ich denke an meine eigenen Ratlosigkeiten und die Ratlosigkeiten anderer, die mir so oft begegnen. Unsere Sozialstation, die so einen guten Dienst tut in unserer Stadt: – So groß die Personalnot und so viele der Patienten, dass es einfach nicht zu bewältigen ist! Ratlosigkeit. Ich will gar nicht in Gefahr geraten aufzuzählen. Jede und jeder kennt das, Momente der Ratlosigkeit im Großen wie im Kleinen, im Persönlichen wie im Politischen.  – Wie seltsam unberührt es einen lassen kann, wenn dann immer noch jemand da ist, der eine Idee hat, einen Gedanken durchspielt, den man selbst schon so oft durchgespielt hat, wenn jemand es gut meint; aber was gut gemeint ist, hilft nicht immer.

Es muss da etwas geben, was der großen Freude Nahrung gibt und die Ratlosigkeiten vergessen macht. Und es ist ohne Zweifel das, was in dieser Geschichte der Segen des Auferstandenen ist, der Segen des auferstandenen Christus, der sie an die Auferstehung glauben lässt und nicht nur an den Untergang, der Segen des auferstandenen Christus, der sie am Himmel nicht zweifeln lässt und nicht an der Durchlässigkeit des Himmels zweifeln lässt.

*

Hölderlin, Hyperions Schicksalslied, wo die Götterwelt weit abgeschieden ist von allem Irdischen, mitnichten durchlässig:

Ihr wandelt droben im Licht
   Auf weichem Boden, selige Genien!
             Glänzende Götterlüfte
                       Rühren euch leicht,
                                 Wie die Finger der Künstlerin
                                           Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
   Säugling, atmen die Himmlischen;
             Keusch bewahrt
                       In bescheidener Knospe,
                                 Blühet ewig
                                           Ihnen der Geist,
                                                     Und die seligen Augen
                                                               Blicken in stiller
                                                                         Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
   Auf keiner Stätte zu ruhn,
            Es schwinden, es fallen
                     Die leidenden Menschen
                              Blindlings von einer
                                       Stunde zur andern,
                                                Wie Wasser von Klippe
                                                         Zu Klippe geworfen,
                                                                  Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Hölderlin – der von Sehnsucht Getriebene, Ungezählte mitnehmend. Der Himmel im Schicksalslied ist nicht durchlässig, allenfalls schauen sie, die Genien, dem irdischen Treiben zu, weit genug weg als dass sie sich damit auseinandersetzen müssten. Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn… Selbstmitleid? Oder bittere Wirklichkeit?

Da schauen wir noch einmal auf die Himmelfahrtsgeschichte, wo den Jüngern des Herrn „Kraft aus der Höhe“ verheißen, versprochen wird. „Ihr aber sollt in der Stadt bleiben, bis ihr ausgerüstet werdet mit Kraft aus der Höhe.“

Da ist er, der durchlässige Himmel,
und den Jüngern, die sich vielleicht auch schon gefragt haben,
woher sie die Kraft nehmen sollen oder
die sich eines Tages gewiss noch fragen werden,
woher sie die Kraft nehmen sollen,
diesen Jüngern wird versprochen ausgerüstet zu werden mit Kraft aus der Höhe.

Und es scheint, als könnten sie es glauben. Es hat den Anschein, als wäre da kein lebloses Kopfschütteln oder eine innere Rebellion gegen diese Verheißung, sondern ein Vertrauen, dass das keine leeren Worte sind: Kraft aus der Höhe…
Ja, sie gehen zurück nach Jerusalem,
sie lassen sich sehen am Tempel, Anhänger Jesu, Jünger Jesu,
Nachfolger, die sich nicht verstecken,
die noch nicht wissen wie es weitergeht,
die sich aber schon einig sind,
dass sie sich nicht in Wohlgefallen auflösen werden.

„Zurück nach Jerusalem“ heißt:
den Standort nicht aufgeben,
den Tempel nicht denen überlassen, die Jesus ans Kreuz gebracht hatten,
die Heilige Stadt nicht denen überlassen,
denen nichts heilig ist, wenn’s um ihre Macht geht.
Zusammenhalten, aber nicht in verkrampfter Entschlossenheit,
sondern weil der Herr, der Auferstandene sie zusammenhält.
Ein bisschen naiv sein, einfältig, aber auf die Kraft aus der Höhe vertrauend.

Mit dem Segen des Auferstandenen gehen sie zurück – wie wir in der Osternacht die Gottesdienstbesucher mit dem Kreuzzeichen segnen und sprechen: Der Auferstandene segne Dich. Es soll nichts anderes sein und bedeuten als das, was gesagt ist. Und gebe Gott, dass die Kraft aus der Höhe sich einstellt, auch in diesen Tagen um Himmelfahrt herum. Amen.

Was ist Beten?

Predigt am Sonntag Rogate, 10. Mai 2015, im Gottesdienst auf dem Hardt-/Schönbühlhof

Predigttext: Johannes 16,23b-28.33 (Luther)

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.

Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.

Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.

An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;

denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.

Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.

Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Predigt

Liebe Gemeinde hier auf dem Hof,

„Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn, er hat Dir viel Gutes getan…“ – Ein weit bekanntes Lied, das auch im Gesangbuch seinen Platz gefunden hat. Hier im Johannesevangelium heißt es eher: „Vergiss nicht zu bitten!“

Es geht ums Gebet am Sonntag Rogate, ums Beten, aber was ist das?

Ich erinnere mich an die Schulzeit, wo wir im Deutschunterricht das Stück von Bertolt Brecht Mutter Courage gelesen haben, ein Stück über den 30jährigen Krieg. Berühmt die Passage, in der die stumme Kattrin zum Beten aufgefordert wird:

„Bet, armes Tier, bet! Wir können nix machen gegen das Blutvergießen. Wenn du schon nicht reden kannst, kannst doch beten. ER hört dich, wenn dich keiner hört…. Vater unser, der du bist im Himmel, hör unser Gebet, lass die Stadt nicht umkommen mit alle, die drinnen sind und schlummern und ahnen nix. Erweck sie, dass sie aufstehn und gehen auf die Mauern und sehn, wie sie auf sie kommen mit Spießen und Kanonen in der Nacht über die Wiesen, herunter vom Hang.

„Beschirm unsre Mutter und mach, dass der Wächter nicht schläft, sondern aufwacht, sonst ist es zu spät. Unserm Schwager steh auch bei, er ist drin mit seine vier Kinder, lass die nicht umkommen, sie sind unschuldig und wissen von nix.“

„Eins ist unter zwei, das älteste sieben.“

Kattrin beginnt, auf dem Dach sitzend die Trommel zu schlagen, die sie unter ihrer Schürze hervorgezogen hat…

Beten oder trommeln? Geht es beim Beten darum, Unheil zu verhindern? Ist das das Gebet, dass es Unheil verhindern soll?

Es gibt auch die Gebete mitten im Unheil, mitten im Untergang, der Gesang der Männer im Feuerofen, das Beten und Singen von Pater Maximilian Kolbe im Hungerbunker in Auschwitz, das „Unetane tokev“ genannte Gebet des Rabbi Amnon von Mainz, dem man der Legende nach Arme und Beine abgeschlagen hat und der schwer geschändet in die Synagoge getragen wurde und dieses Gebet sprechend den Blicken der Anwesenden entschwindet, denn Gott hat ihn zu sich genommen.

Welche Bilder kennen wir vom Gebet?

Gebetsmühlen in Tibet. Die Gebete sollen durch das Drehen der Mühlen in Gang gehalten werden. Oder Gebetsfahnen, die der Wind bewegt, gleichermaßen in Tibet, wo der Wind zu Hilfe genommen wird, die Gebete zum Himmel zu tragen. Oder – in unserer christlichen Tradition – das immerwährende Gebet der Mönche in den Klöstern, womöglich in Einsiedeleien, wo ein Mönch sich ganz dem Gebet hingibt. Großartig der 3 Stunden dauernde Film „Die Große Stille“ über das Schweigen der noch dort lebenden Mönche in der Grand Chartreuse in den französischen Alpen, unterbrochen nur vom Gottesdienst und dem Gespräch am Sonntagnachmittag. 14 Jahre musste der Regisseur, der diesen Film drehen wollte, auf eine Antwort warten, ob die Mönche das Drehen eines Films über ihr Leben zulassen würden, 14 Jahre. Das Leben im Gebet kennt andere Zeiten als das Leben des modernen Großstadtmenschen.

Ist das Gebet das Überflüssigste in dieser Welt oder das Notwendigste? Wäre die Welt ohne das Gebet besser oder wäre sie noch schlimmer? Ist Beten ein Betrug, ein Selbstbetrug oder der Weg zu Gott und zur Wahrheit über mich selbst? „Wer singt, betet doppelt“, sagt Augustinus, und „Mensch, lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit dir anzufangen. Jakobus der Gerechte aber hatte Schwielen an den Knien vom Beten, nicht vom Tanzen. „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt“, sagt Paulus, „aber der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“

Es gibt das Gebet der Gemeinschaft von Taizé, das in viele Konfessionen wertvolle Impulse gegeben hat, und es gibt das stumme Aufstellen von Kerzen dort, wo ein Mensch bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist.

„Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung“ heißt es im Katechismus. Dort, wo die Kirche noch im Dorf ist, läuten mindestens drei Mal täglich die Glocken und rufen zum Gebet. Früher hat man vielleicht gelernt: „Nun tönt vom Turme nieder der Abendglocke Schall. Die Sonne geht zur Ruhe, und still wird’s überall. Hab Dank, dass du, o Vater, so treulich uns bewacht! Gib uns und allen Menschen heut eine gute Nacht! Amen.“ Oder eine Gesangbuchstrophe: „Abend und Morgen sind seine Sorgen; segnen und mehren, Unglück verwehren sin d seine Werke und Taten allein. Wenn wir uns legen, so ist er zugegen; wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen über uns seiner Barmherzigkeit schein.“ – Das kann man am Abend und am Morgen sprechen.

Eine junge Frau, die die Ausbildung zur Altenpflegerin macht, hat mich gebeten, für sie Gebete aufzuschreiben für eine Sammlung von Gebeten für alte Leute. Das Gebet begleitet durch die Lebensstufen. Eltern beten am Bett ihrer kleinen Kinder, alte Menschen legen ihr Leben in Gottes Hand.

Der Predigttext:

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.

Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.

Was ist das für ein Beten? Doch bestimmt nicht eine Methode etwas zu bekommen, was man auf andere Weise nicht bekommt. Es ist das Beten einer engen Vertrautheit mit Gott, mit dem Vater, das Beten, das man an Jesus selbst beobachtet. Er bittet nicht um gutes Wetter und nicht um einen Lottogewinn und kaum um einen Ausweg aus einer Notlage. Erst in Gethsemane: „Ist’s möglich, dass dieser Kelch an mir vorübergehe, aber nicht wie ich will, sondern wie DU willst.“ Aber wir lernen von ihm das Beten um die Herrschaft Gottes, Dein Reich komme, und das Beten um Einheit und Einigkeit: „…damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein…“

Aus einer engen Vertrautheit heraus ist das gesagt: „Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben…“ wissend, dass dieser Vater dem, der ganz in seiner Nähe ist, nichts abschlagen wird. Aber es ist kein Trick, keine Methode, kein Hokuspokus um sich oder jemand anderem einen Vorteil zu sichern, ein Leid zu sparen. Und es ist gesagt in der großen Gewissheit, dass Gott gar nicht das Leid seiner Kinder will, sondern, dass Eure Freude vollkommen sei!

Der Abschnitt ist im Johannesevangelium ein Passus aus den Abschiedsreden, in denen Jesus die Jünger auf seinen Weggang vorbereitet. Sie werden ihn vermissen, aber sie werden nicht verlassen sein. Sie werden ihn nicht mehr sehen, aber sie werden nicht im Dunkeln stehen. Sie werden in der Welt Angst erleben, „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

Was ist daraus geworden? Die Jünger haben sich nicht als Gebetskreis konstituiert, aber sie sind im Gebet geblieben. Die Kirche Jesu Christi ist eine betende Kirche geworden, aber sie hat keine Vorschriften erlassen, welche Regeln für das Gebet einzuhalten wären.

Fromme Juden legen die Gebetsriemen an, legen den Gebetsmantel um, Muslime reinigen sich vor dem Gebet, wenden sich nach Mekka, stehen oder liegen auf einem Teppich. Kinder lernen, wie man richtig betet.

Die christliche Kirche ist arm an Vorschriften für das Gebet, aber sie ist eine reiche Kirche, wenn sie eine betende Kirche ist.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.

Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.

Was bräuchte es mehr als dass Gott unsere Bitten erhört? Es bräuchte ja nur das, dass wir das bitten, was Gott erhören möchte, und deshalb kann eine Predigt am Sonntag Rogate nicht sagen: Vergiss nicht zu danken dem ewigen Herrn… und auch nicht Vergiss nicht zu bitten… Es geht nicht drum, das Beten nicht zu vergessen, sondern im Gebet zu leben, in der Vertrautheit zu Gott, und es geht darum, dass das das Anliegen der Kirche sein kann und nicht die Anstrengung des einzelnen.

Dschihad heißt im Islam die Anstrengung des Einzelnen. Dschihad kann ein frommer Ehrgeiz sein, der in den heiligen Krieg mündet.

Die betende Kirche kennt nicht den Dschihad, die extreme Anstrengung, den heiligen Kampf. Die betende Kirche lebt im heiligen Frieden und freut sich in vollkommener Freude und der einzelne ist darin aufgehoben, gut aufgehoben. Er trägt nicht die Last, sondern nimmt teil an der Freude. Amen.

Dran bleiben! Predigt am Sonntag Jubilate, 26. April 2015

Predigttext: Joh. 15,1-8 (Basisbibel)

1 „Ich bin der wahre Weinstock. Mein Vater ist der Weinbauer.

2 Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht trägt. Und er reinigt jede Rebe, die Frucht trägt, damit sie noch mehr Frucht bringt.

3 Ihr seid schon rein geworden durch das Wort, das ich euch verkündet habe.

4 Bleibt mit mir verbunden, dann bleibe auch ich mit euch verbunden. Eine Rebe kann aus sich selbst heraus keine Frucht tragen. Dazu muss sie mit dem Weinstock verbunden bleiben. So könnt auch ihr keine Frucht tragen, wenn ihr nicht mit mir verbunden bleibt.

5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts erreichen.

6 Wer nicht mit mir verbunden bleibt, wird weggeworfen wie eine abgeschnittene Rebe und vertrocknet. Man sammelt das Abgeschnittene ein und wirft es ins Feuer, wo die Rebe verbrennt.

7 Wenn ihr mit mir verbunden bleibt und meine Worte im Innersten bewahrt, dann gilt: Was immer ihr wollt, darum bittet – und eure Bitte wird erfüllt werden.

8 Die Herrlichkeit meines Vaters wird darin sichtbar, dass ihr viel Frucht bringt und euch als meine Jünger erweist.“

Predigt

Liebe Gemeinde,
Jubilate heißt der heutige Sonntag! Aufforderung zum Jubel, zur Freude, zum Spaziergang durch die Schöpfung, die Natur, dorthin wo die Bäume blühen, es genießen, dass die Tage länger werden. Der Predigttext zeigt uns Jesus auch nicht als einen Schreibtischtäter, der eine Predigt vorbereitet, sondern zeigt ihn unterwegs mit seinen Jüngern. Manchmal finden wir Ortsangaben, die zeigen, dass Jesus die schönen Plätze geliebt hat, aufgesucht hat. Ölbäume und Weinstöcke findet man in Galiläa bis heute. Vielleicht sind sie irgendwo gesessen und haben nachgedacht, eine Weile geschwiegen. – Im Konfirmandenunterricht versuchen wir es, 2 Minuten lang zu schweigen, nichts zu sagen. Wenn einem etwas Ernstes durch den Kopf geht, sind zwei Minuten kurz, sehr kurz, zu kurz. Draußen in der Natur kann man auch eine Viertelstunde still sein oder länger, sieht, wie die Felder grün werden, sieht, wie an den Weinstöcken die Blätter hervortreiben.

Was wäre, wenn man jetzt einen Trieb abschneidet, einen Trieb an einem Weinstock? Aus der Wunde läuft der Saft heraus, die Blätter am abgeschnittenen Trieb werden schnell welk. Aber macht nicht gerade das der Weinbauer? Keine Pflanze wird so sehr zurückgeschnitten wie der Weinstock. Könnte man nicht einfach alles wachsen lassen? Nicht, wenn man Trauben ernten will! Das Zurückschneiden gehört dazu. Schade, denkt man. Aber es muss sein.

Und dann gehen die Gedanken wieder zum Alltag: Dran bleiben, nicht abgeschnitten werden! „Dran bleiben“ sagt die Lehrerin in der Schule, „dran bleiben“ sagt der Trainer im Verein. „Dran bleiben“ heißt – sich nicht abbringen lassen.

Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden, die Ihr nächsten Sonntag oder übernächsten Sonntag konfirmiert werdet. „Dran bleiben!“ Vielleicht denkt Ihr: „Erst mal Abstand halten! Die Konfi-Sachen wegtun! Mittwochnachmittag frei haben! Sonntags ausschlafen!“ Aber überlegt auch und noch mehr, wie Ihr dran bleiben könnt! Verlasst Euch nicht drauf, dass Euch der Glaube hinterher getragen wird, geht nicht davon aus, dass Ihr das schon abhaken könnt im Leben, überlegt, wie Ihr dran bleiben könnt!

Dran bleiben, wenn man weggeht… Vielleicht nur ein Wohnortwechsel, vielleicht ein Weggang zum Studium, vielleicht ins Ausland, vielleicht aus beruflichen Gründen, vielleicht aus persönlichen Gründen, vielleicht aber auch, weil man seine Heimat aufgeben muss wie es Hunderttausenden in Syrien, im Irak, ergeht, unter ihnen viele Christen.

Was bedeutet „Dran bleiben?“

Einen Weinstock verpflanzt man nicht, nur ganz am Anfang, wenn die Pflänzchen aus Traubenkernen gezogen und dann veredelt werden. Danach werden sie an ihren Standort verpflanzt und verwurzeln sich sehr tief. Weinstöcke können sehr alt werden. Aber sie sind nicht heute hier, morgen dort.

Wir Menschen sind nicht im Erdboden verwurzelt. Wir sind anders verwurzelt. Dran bleiben heißt nicht, dass man nicht weggehen darf, nicht wegziehen darf, nicht aufbrechen darf. „Dran bleiben“ heißt: dem Glauben an Jesus Christus treu bleiben: „Wer mit mir verbunden bleibt so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht.“ Heißt auch nicht, lieber E. R. den wir heute verabschieden, dass man am neuen Wohnort wieder Mitglied im Kirchengemeinderat sein muss oder im Bauausschuss oder was auch immer. Es heißt viel eher, dass sich das zeigen wird, wenn jemand dran bleibt, wo und wie die Früchte wachsen. Aber „Dran bleiben!“

„Jesus, der Weinbauexperte.“ Fast will es einem so vorkommen, wenn er vom Veredeln spricht. „Mein Vater ist der Weinbauer. Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht trägt. Und er reinigt jede Rebe, die Frucht trägt, damit sie noch mehr Frucht bringt.“ Jeden Tag gehen manche Wengerter in den Weinberg, um zu jeder Jahreszeit die notwendigen Dinge zu tun, damit im Herbst gute Trauben geerntet werden können. Viele Triebe müssen zurückgeschnitten werden. Triebe, die nur Laub bringen, werden entfernt. Triebe, die Trauben tragen sollen, werden angebunden und erzogen, da wird auf Krankheiten und Schädlinge geachtet, all das, weil die Ernte im Blick ist, die Weinlese.

Frucht: Dass das Leben, das man hat, zu etwas gut ist, dass es zugute kommt. Wie? Wem? Das ergibt sich von innen heraus! Wie? Frucht muss wachsen, braucht Zeit zum Reifen.

*

Zurück zur Natur, zum Spaziergang durch die Felder und Wälder und Weinberge, zu Momenten der Stille und Einkehr.

Ja, dran bleiben! Es ist ja doch auch eine Standortfrage. Du kannst nicht überall sein, nicht überall dran bleiben, kannst Dich im Leben nicht verzetteln. Du kannst nicht alles vollbringen, nur einen kleinen Teil, Deinen kleinen Teil. Da wächst noch anderes in Gottes schöner Natur, da sind noch andere unterwegs, ihren Beitrag zu geben, da geschieht nicht alles durch einen einzigen. Du musst die Welt nicht erlösen! Bleib bei dem, der sie erlöst hat. Du musst die Welt nicht retten, Du darfst Dich begrenzen!

So schön – diese Welt! So voller Wunder, voller Licht, voller Hoffnung, voller Geheimnisse. So grausam – diese Welt, so voller Gewalt, so voller Finsternis, so voller Angst und Entsetzen. Eine Welt voller Unschuld, eine Welt voller Schuld. Gott warum?

„We refuse to be enemies“ steht auf T-Shirts, die wir in Israel gesehen haben, Juden und Araber: „wir weigern uns, Feinde zu sein.“ „Fight violence with love“ am Eingang einer Farm in der Nähe von Bethlehem: Kämpfe gegen Gewalt – mit Liebe!

Meint Jesus das, wenn er sagt:

„Wenn ihr mit mir verbunden bleibt und meine Worte im Innersten bewahrt, dann gilt: Was immer ihr wollt, darum bittet – und eure Bitte wird erfüllt werden.“ ?

Ich glaube nicht, dass Jesus hier an eigennützige Bitten denkt, an den Wunsch, etwas mehr vom Leben zu haben. Ich denke, es geht um die Anliegen, die seine Anliegen sind, um Erneuerung, Versöhnung, Überwindung von Negativem, und dass er diese Anliegen nicht ohne uns in die Welt trägt, sondern mit uns, durch uns. Wir sollen, dürfen mit ihm verbunden sein, mit ihm Verbundene, Verbündete, dass das, was aus ihm herausfließt durch uns hindurchfließt. Nicht umgekehrt, dass der Saft in den Reben rückwärts fließt, dass wir die Wünsche formulieren und er sie sich zu Eigen machen soll. Nein, das, was Kraft gibt und Wachstum, Antrieb und Auftrieb, soll vom Weinstock her kommen, aus der Wurzel, aus dem Stamm bis in die Spitzen der Triebe. Wenn das unser Antrieb ist, was von ihm kommt, dann hat es Verheißung, dann wird Leben aus seiner Kraft schön, wie der letzte Vers des Predigttextes sagt:

Die Herrlichkeit meines Vaters wird darin sichtbar, dass ihr viel Frucht bringt und euch als meine Jünger erweist.

Amen.

„Nicht sehen, trotzdem glauben.“ Predigt am Sonntag nach Ostern, 12. April 2015

Predigttext: Joh. 20,19-29

19  Es war schon spätabends an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat. Die Jünger waren beieinander und hatten die Türen fest verschlossen. Denn sie hatten Angst vor den jüdischen Behörden. Da kam Jesus zu ihnen. Er trat in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“

20  Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Die Jünger waren voll Freude, weil sie den Herrn sahen.

21  Jesus sagte noch einmal: „Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so beauftrage ich jetzt euch!“

22  Dann hauchte er sie an und sagte: „Empfangt den Heiligen Geist!

23  Wem ihr seine Schuld vergebt, dem ist sie wirklich vergeben. Wem ihr sie aber nicht vergebt, dem ist sie nicht vergeben.“

24  Thomas, der auch Didymus genannt wird, gehörte zum Kreis der Zwölf. Er war jedoch nicht dabei gewesen, als Jesus gekommen war.

25  Die anderen Jünger berichteten ihm: „Wir haben den Herrn gesehen!“ Er erwiderte: „Erst will ich selbst die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen. Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen. Sonst glaube ich nicht!“

26  Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander. Diesmal war Thomas mit dabei. Wieder waren die Türen verschlossen. Da kam Jesus noch einmal zu ihnen. Er trat in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“

27  Dann sagte er zu Thomas: „Nimm deinen Finger und untersuche meine Hände. Strecke deine Hand aus und lege sie in die Wunde an meiner Seite. Du sollst nicht länger ungläubig sein, sondern zum Glauben kommen!“

28  Thomas antwortete ihm: „Mein Herr und mein Gott!“

29  Da sagte Jesus zu ihm: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!“

 

Liebe Gemeinde,

in meiner Generation haben viele Eltern ihre Söhne Thomas genannt, Thomas, Michael und Andreas hatten mindestens 10 Jahre lang den Spitzenplatz der beliebtesten Vornamen für Jungen. „Tom“ kommt immer noch vor. Der Name Thomas ist mit dieser Geschichte berühmt, bekannt und populär geworden. Manchmal wurde dann aber auch vom „ungläubigen Thomas“ gesprochen und die Jungs, die Thomas hießen, haben sich sicherlich nicht gut gefühlt, in diese Schublade gesteckt zu werden..

Der „ungläubige Thomas“? Das sagt nicht alles. Er war auch der Thomas, der den Finger in die Wunde legen wollte, der sich nicht vorschnell mit einer Antwort zufrieden gab, der seine Fragen nicht hintangestellt hat, der nicht drei Tage nach dem Karfreitag gesagt hat: es war ja gar nicht so schlimm. Schlimm war’s! Entsetzlich! Und nicht so, dass man so einfach drüber weg kommt oder drüber weg gehen könnte.

Aber dann kommt diese wunderbare Ostergeschichte, dass der Auferstandene Jesus dem Thomas erscheint und ihm die Zweifel nimmt. „Mein Herr und mein Gott!“, sagt Thomas jetzt, und das war dann für Thomas das Ostern, gewissermaßen am Sonntag drauf, weshalb dieser Text am heutigen Sonntag, dem Sonntag nach Ostern gelesen wird: Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander.“ – Verspätetes Ostern – persönliches Ostern. Von dem, was uns andere erzählen, liebe Gemeinde, können wir nur bedingt glauben. Irgendwann irgendwie brauchen wir unser eigenes Ostern, müssen selbst eine Erfahrung machen, die uns über die Zweifel hinweghilft. Und, wer weiß, vielleicht mehrmals im Leben, denn die Dinge, über die wir nur schwer hinwegkommen, gibt’s auch immer wieder und meist nicht nur einmal.

Eines muss man dem Jünger Thomas auch bescheinigen und anerkennen: Er war an Ostern nicht dabei, er hat gefehlt, warum auch immer. Die andern Jünger berichteten ihm, und er kann’s nicht glauben. Aber er ahnt vielleicht, dass irgendetwas dran sein könnte an dem, wovon die andern erzählen und was er nicht glauben kann. Er ahnt vielleicht, dass seine Zweifel auch nicht die ganze und die letzte Wahrheit sind, sondern nur seine Sicht der Dinge, und er verabschiedet sich nicht vom Kreis der Jünger und sagt sich und den andern nicht, dass er damit nichts mehr zu tun haben will. Er sieht Platz für sich in diesem Kreis samt seinen Zweifeln, und er bleibt dabei, vielleicht am Rand, aber nicht ausgeschlossen.

So sind dann vor zwanzig, dreißig Jahren die Thomasmessen mancherorts entstanden, Gottesdienste für „Suchende, Zweifelnde und andere gute Christen“ – wie’s in der Ankündigung meistens heißt, Gottesdienste für Menschen, die mit ihren Fragen und mit dem Glauben noch nicht abgeschlossen haben, und das ist doch – dank dieser Geschichte – etwas Verheißungsvolles. – Etwas Verheißungsvolles, wenn Menschen skeptisch sind, aber offen.

Es hört sich dann so an als würde Thomas getadelt: „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!“, ein Satz, bei dem ich immer denke, dass er falsch verstanden wird. Denn die Seligkeit besteht ganz bestimmt nicht im „Nicht-Sehen“, sondern im „Trotzdem-Glauben!“

„Glauben heißt nicht wissen“ hört man immer wieder, und manche sagen vielleicht heute noch, dass sie nur glauben, was sie sehen, etwas plumper und platter als Thomas in dieser Geschichte, der immerhin gesagt hat, dass er nach all dem, was er am Karfreitag gesehen hat, nicht einfach glauben kann oder einfach nicht glauben kann. „Nur glauben, was man mit eigenen Augen sieht“ – das ist schon arg dürftig. Wenn man glauben soll, wo das Glauben dem widerspricht, was man mit eigenen Augen gesehen hat und sieht, da beginnt der Zweifel zu nagen, nicht dort, wo man es sich einfach nur bequem macht und die Augen verschließt.

„Glückselig sind die, die trotzdem glauben…“ Das wäre es viel eher: trotzdem glauben, sich nicht den Funken Glauben oder das Licht des Glaubens nehmen lassen, weil man gerade nichts sieht, was diesem Glauben Recht gäbe. Sich den Glauben nicht nehmen lassen, obwohl es in der Welt so zugeht, dass man den Glauben ganz und gar verlieren kann. Wer kann’s denn beweisen, ob nicht morgen etwas geschieht, was ein Wunder ist? Wer kann’s denn beweisen, dass sich Glaube nie mehr lohnen wird? Glückselig sind die, die nicht zynisch werden, glückselig sind die, die trotzdem glauben.

Dann lasst uns darum bitten und beten, dass zur rechten Zeit auch Antwort da ist, dass Vertrauen Bestätigung findet, dass uns Jesus, der Auferstandene begegnet, wie auch immer. Amen.

Lied: Wo einer dem andern neu vertraut…                                     551,1-6

Anspruchsvolle Kirche? Predigt am Sonntag Judika 2015

Predigttext: Markus 10,35-45 (Evangelium)

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. 36 Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? 37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. 38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? 39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; 40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. 41 Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. 42 Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. 43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; 44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. 45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Liebe Gemeinde,

das 10. Kapitel des Markusevangeliums beginnt mit den Worten: Und er machte sich auf und kam von dort in das Gebiet von Judäa und jenseits des Jordans. Das ist eine beeindruckende Landschaft. Tief ist der Jordangraben, an dessen Ufer ein schmaler grüner Streifen ist, braun und gelb und grau sind die Farben der Berge im judäischen Bergland oder gegenüber auf der jordanischen Seite des Jordangrabens. Für das Markusevangelium steht diese Ortsangabe aber dafür, dass der Weg Jesu und der Jünger auf Jerusalem zugeht; nicht, um dort schöne Dinge zu erleben, sondern um dort sich der Entscheidung zu stellen.

Unmittelbar vor unserem Abschnitt heißt es

Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem und Jesus ging ihnen voran; und sie entsetzten sich; die ihm aber nachfolgten, fürchteten sich. Und er nahm abermals die Zwölf zu sich und fing an, ihnen zu sagen, was ihm widerfahren werde:

Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird überantwortet werden den Hohenpriestern und Schriftgelehrten, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und den Heiden überantworten.

Die werden ihn verspotten und anspeien und geißeln und töten, und nach drei Tagen wird er auferstehen.

Damit stellt der Evangelist Markus den Kontext dar, als käme das hintereinander, die Leidensankündigung und die Frage der Jünger nach Einfluss, Rang und Namen. Sie scheinen in einer anderen Welt zu leben. Jesus aber kündigt ihnen an, dass auch sie einen Leidensweg gehen werden. Das Leiden scheint in dieser Geschichte immer deutlicher etwas Notwendiges zu sein, etwas Unumgängliches, um das man keinen Umweg machen darf. Nicht nur: da kommt ihr nicht dran vorbei, nicht nur: das bleibt Euch nicht erspart, sondern es muss sein. Nicht nur: da müsst ihr durch, sondern es ist von einer Taufe die Rede, „es wird Eure Taufe sein“, Eure Wandlung, Euer Eintritt ins Leben.

Vielleicht spüren wir, wie es unangenehm, fast beklemmend wird, wie einem das zu nahe gehen kann, wie man vielleicht umkehren möchte auf einem Weg, den man eingeschlagen hat, und der einem zu steil zu werden droht. – Zurück in die Zeiten der Unbeschwertheit, zurück in die Zeiten der Unbefangenheit, zurück in die Zeit, in der einem viele Wege offen standen und man auswählen konnte, welchen Beruf man ergreifen möchte, wen man heiraten möchte, wo man wohnen möchte, wohin man reisen möchte, was man am Wochenende macht, mit wem man essen geht…

Und selbst, wenn man einen Weg eingeschlagen hatte, war immer noch vieles offen, hat einem das Leben Möglichkeiten gegeben, man durfte Erfahrungen sammeln, Freunde gewinnen, Höhepunkte und Alltag erleben. Irgendwann hat man dann Prüfungen zu bestehen, irgendwann und irgendwie gibt es Bewährungen, kommt es drauf an, kommt es auf einen selbst an, beginnt man wahrzunehmen, dass man dem, was auf einen zukommt, gewachsen sein muss. Man kann nicht ausweichen, und es hat womöglich sein Gutes, dass man nicht ausweichen kann, dass man standhalten muss und standhält.

Es gibt auch das Scheitern. Es gibt das Scheitern im Beruf, das Scheitern in der Ehe. Es gibt das Scheitern, verursacht durch Unglücke oder Krankheiten oder Schicksalsschläge, es gibt das, dass man in die Knie gezwungen wird, dass die Angst über einen kommt, dass man innerlich einsam wird, von allen guten Geistern verlassen, von Gott verlassen – wie es Jesus am Kreuz herausgeschrien hat: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?

Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

Es wird ernst. Die Jünger möchten etwas geschenkt, was es nicht gibt. Jesus sagt: das könnt Ihr Euch nicht verdienen, das bekommt keiner geschenkt, es wird nicht ausgelost und nicht durch Mehrheitsentscheid zugeteilt in der Herrlichkeit Gottes ganz oben zu sitzen. Es ist unangemessen seine Gedanken zu verschwenden: was wäre wenn… Auf das Was wäre wenn antwortet Jesus: es wird anders kommen.

Vielleicht auch für die Kirche.

Kirche der Freiheithat ein Arbeitspapier geheißen, das vor 10 Jahren durch die Evangelische Kirche Deutschlands gegangen ist, von Leuchtfeuern war darin die Rede, zum Beispiel:

Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten ausstrahlungsstarke Begegnungsorte evangelischen Glaubens schaffen und stärken.

Im Jahre 2030 gibt es zentrale Begegnungsorte des evangelischen Glaubens, die missionarisch-diakonisch-kulturell ausstrahlungsstark sind und angebotsorientiert in einer ganzen Region evangelische Kirche erfahrbar machen. Im Sinne der Stadt auf dem Berge (Matthäus 5,14) zeigt die evangelische Kirche an diesen Orten die Fülle ihrer geistlichen Kraft. Diese Stärkung der Stärken in kirchlichen Zentren wird regional gemeinsam gewollt, weil diese Zentren geistliche Verantwortung für die sie umgebenden Regionen übernehmen.

Das und noch andere schöne und gute und interessante Dinge standen da drin, stehen noch drin, wenn man es lesen möchte, anregend, herausfordernd, in die Zukunft weisend.

Zugleich kommt es mir so vor, kam es mir von Anfang an so vor, als wollte die Kirche wie die beiden Jünger Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus, anspruchsvoll sein. Das sind sie ja, die beiden, sie stehen für die anspruchsvolle Kirche, die sich zeigt, sich nicht geniert, die will, dass man sich sehen lassen kann, die einen Beitrag zum Guten leistet, die sich gegen falsche Bescheidenheit wehrt und höchstens die Befürchtung hat, dass sie unter ihrem Anspruch bleiben könnte. Veränderung ja. Aber bitte nicht Anspruchslosigkeit und nicht Bedeutungslosigkeit! Es hat etwas, es ist verführerisch.

Jesus aber verweist seine beiden Jünger, die anspruchsvoll sein möchten, darauf, dass sich nicht selbst Ansprüche stellen werden, sondern dass Ansprüche an sie herangetragen werden, denen sie sich stellen müssen, dass sie sich diesen Ansprüchen vielleicht nicht gewachsen fühlen werden, dass sie vielleicht unter diesen Ansprüchen zerbrechen könnten. „Könnt Ihr Euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ – Und die Frage, die daraus folgt ist, ob die Zeit einer ohnmächtigen Kirche womöglich schon angebrochen ist, wo sie sich Verfolgung, Vertreibung, Unterdrückung ausgesetzt sieht?

Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

Als wäre diese Welt nicht zu verbessern, als wäre die bessere Welt ohne Gewalt eine Illusion, der man vielleicht manchmal näher ist, und die dann unversehens wieder in die Ferne rückt… Und war nicht die vergangene Woche wieder eine Woche der Gewalttaten? Kein Verbessern der Welt schwebt Jesus vor, sondern das, dass die Kirche in dieser Welt einen anderen Weg geht, dass seine Jünger in dieser Welt einen anderen Weg gehen, dass seine Gemeinde in dieser Welt einen anderen Weg geht:

Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.

Freilich, großen Glanz erzeugt das nicht. Aber es hat eine andere, eigene, besondere Schönheit. Und wir sollten in unserer Kirche und in unseren Gemeinden darauf achten, dass das Dienen Anerkennung findet: „einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor“, schreibt Paulus.

Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele,

Was nicht zuletzt auch uns zugute kommen darf! Indem wir nicht nur dienen, sondern uns auch den Dienst anderer, den Dienst Jesu Christi gefallen lassen, dass uns Erlösung zuteil wird, Erlösung unter der sich das löst, worin wir uns womöglich verkrampft haben könnten. Amen.

Predigt im Gottesdienst auf dem Hardt-/Schönbühlhof
22. März 2015

Das Reich Gottes kann man nicht kontrollieren. Predigt am Sonntag Sexagesimae, 08. Februar 2015 über das Gleichnis vom 4fachen Ackerfeld

Predigttext: Lukas 8,4-8
Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Liebe Gemeinde,
das Gleichnis ist die Antwort. Was aber war die Frage?
Frage und Antwort, Wort und Antwort.
Das, was hier wichtig ist, spielt sich wohl in Frage und Antwort ab,
aber nicht in einem Interview, nicht in einer Schulaufgabe, nicht in einer Problemlösungsstrategie, sondern es ist wie ein Gespräch.

„Wort an Wort“ heißt ein Gedicht der Lyrikerin Rose Ausländer:

Wir wohnen
Wort an Wort

Sag mir
dein liebstes
Freund

meines heißt
DU

Ein Gespräch. Dieses Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld – Teil eines Gesprächs, Gespräch mit vielen.
Lukas schreibt: Als eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete er in einem Gleichnis… Ohne Mikrophon, ohne Kanzel, nicht von einem Podium, und doch ist Jesus ein Gegenüber, einer, den sie sehen wollen, hören wollen, erleben wollen, wie er aussieht, was er sagt, seine Stimme. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit diesem Gleichnis eine laute Ansage gemacht hätte, kann mir nicht vorstellen, dass es schriftlich herausgegeben wurde an die Menge. Es muss sich herumgesprochen haben als SEINE Weisheit:
„Nein, das Reich Gottes kann man nicht kontrollieren. Du kannst nicht hergehen und den Erfolg messbar machen – wie viele Menschen sind geheilt worden? Wie lange hat die Heilung bei einzelnen angehalten? Wieviel Streit ist geschlichtet worden? Wieviel Streit ist neu entstanden? Wie viele Menschen haben ein besseres Leben? Was ist ein besseres Leben? Wie definiert man das?
Nein, das Reich Gottes ist, wenn die Menschen unter Gott sind und sonst frei, wenn sie unter Gott sind – ohne Angst, wenn sie unter Gott sind und aufrecht!
Das Reich Gottes ist, wenn Menschen nicht mehr schwer tragen an ihren Lasten.“

Und irgendwie war es so, ist es so, dass das in der Nähe Jesu sich ereignet: „Frau, geh hin, Dein Glaube hat Dich gerettet!“ Oder: „Wo sind sie, Deine Ankläger? Hat Dich niemand verurteilt? Dann verurteile ich Dich auch nicht.“ Wo Jesus hingekommen ist, war Hoffnung da. Was mit ihm in Berührung gekommen ist, ist heil geworden. Menschen, die unter etwas oder unter jemand gelitten haben, konnten aufatmen.
Das Reich Gottes: schau hier, und da und auch dorr! – „Aber wie lange hält das?“ – „Sie sind gesund geworden, aber sie werden wieder krank!“ – „Und schau, sie kehren zurück zu ihren alten Fehlern! Sie halten nicht durch!“ – „Was ist aus dem Gelähmten geworden, den Du auf die Beine gestellt hast?“ – „Was ist aus denen geworden, die gestern da waren und vorgestern?“
Jesus lehnt es ab, das Reich Gottes auszumessen, abzuwägen, in ein Raster zu bringen, einer Erfolgskontrolle zu unterwerfen. Keine Quartalszahlen wie an der Börse, keine Jahresstatistik wie auf den Rathäusern und Pfarrämtern, Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Sämann, es fällt etwas auf den Weg, es fällt unter auch die Dornen, es fällt manchmal auf Stein, aber vieles fällt auch auf guten Boden, geht auf und trägt Frucht, so ist das.
Und es setzt auf dieses Gleichnis hin keine Debatte über Optimierung ein, wie man noch mehr rausholen könnte.

Liebe Gemeinde, wenn’s ums Reich Gottes geht und wenn’s um Menschen geht, dann darf es nicht darum gehen, wie man noch mehr rausholen könnte, aus Kindern, aus Arbeitskräften, aus dem Boden, aus dem Kapital, aus was auch immer, aus wem auch immer, dannwird es nicht darum gehen, wie man vorhandenes Potenzial noch besser ausschöpfen könnte. Es geht um Vertrauen, dass Gott sein Ding dazutut zu dem, was wir tun! Vertrauen braucht aber auch guten Boden.
Vielleicht mag es auch gut sein, wenn man über Maßnahmen nachdenkt, über technische Fragen, über Waffen und Kriegsgerät, über Reformen in Griechenland und in der Europäischen Union, vielleicht mag es auch gut sein, wenn man über das Schulsystem nachdenkt und über das Gesundheitswesen, wenn man im Kindergarten für jedes Kind eine Dokumentation anlegt und in der Landwirtschaft den Ertrag steigert. Unser Thema ist das heute nicht! Unser Thema ist Vertrauen und dass Gott nicht die große Unbekannte ist, sondern der, der das Vertrauen lohnt. Amen.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Predigt zum Bibelsonntag 2015 in der Bartholomäuskirche Markgröningen

Wir hören als Predigttext zum Bibelsonntag einen Abschnitt aus dem Brief an die Galater. Dieser Brief des Apostels Paulus an die Galater ist das Thema der ökumenischen Bibelwoche 2015.

Die Galater, an die Paulus schreibt, waren Christen in römischen Provinz Galatien in der heutigen Zentraltürkei, die Hauptstadt schon damals Ancyra, heute Ankara. Es sind Menschen, die sich viele Generationen vorher dort angesiedelt hatten und die auf keltische Söldner zurückgehen, Gallier, Kelten. Sie hatten ihre eigene Sprache. Das Griechische, das Paulus schreibt, wurde von ihnen wahrscheinlich verstanden, war aber nicht ihr eigener Dialekt. Noch Hieronymus schreibt um 400, dass sie neben dem Griechischen ihre eigene Sprache haben.

„An die Galater“ – Wir wissen nicht, an welche einzelne Gemeinde dieser Brief übergeben wurde und in welchen Gemeinden im Ganzen er verlesen werden sollte.

Es ist kein Glückwunschschreiben zum 10jährigen Jubiläum dieser Gemeinden, kein guter Rat, wie sie ihre Mission weitertreiben sollen, kein Dank für große Verbundenheit. Es ist ein Brief aus aktuellem Anlass. Paulus muss einer Entwicklung wehren, die ihn geradezu zornig macht. Er sagt den Galatern, dass sie dabei sind, ein paar Falschaposteln auf den Leim zu gehen, die predigen, dass man erst dann ein richtiger Christ sei, wenn man auch beschnitten wäre und die Gebote des jüdischen Glaubens halten würde, den Sabbat, die Feiertage, die Reinheitsgebote, nichts Falsches essen, nicht Verkehrtes anfassen. Dann wäre also der Glaube an Jesus Christus ein weiteres Gebot, das zu halten wäre nebst vielen anderen Dingen. Wer weiß, wohin das noch führt… Ein grandioses Missverständnis! Paulus besorgt sich Papyrus und Feder, er ist ja Schriftgelehrter und des Schreibens und Lesens kundig, hat schließlich auch studiert; er grüßt die Galater, die ihn noch kennen müssten von früher, stellt sich aber auch noch einmal ausführlich vor, damit sie wissen, wer ihnen da schreibt, weil er offensichtlich von seinen Gegnern als Looser hingestellt wurde, als Schwächling, als zweite Garnitur, als Amateur, als Nobody, weil er Jesus nicht persönlich die Hand geschüttelt hat, sondern sich später erst den Christen angeschlossen hat. Ja, er stellt sich ausführlicher vor als in allen anderen Briefen. Er kämpft um seine Apostelwürde, er argumentiert scharf und klar. Und hoffen wir, dass die Galater ihn verstanden haben und ihm gefolgt sind. Aber wir wissen es nicht.

Predigttext: Galater 5,1-11:
Aufruf zur rechten Freiheit

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.

Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.

Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus nützt die Beschneidung nichts, genauso wenig das Unbeschnittensein, sondern der allein Glaube, der durch die Liebe wirksam ist.

Ihr lieft so gut. Wer hat euch aufgehalten, der Wahrheit nicht zu gehorchen? Solches Überreden kommt nicht von dem, der euch berufen hat.

Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig.

Ich habe das Vertrauen zu euch in dem Herrn, ihr werdet nicht anders gesinnt sein. Wer euch aber irremacht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.

Ich aber, liebe Brüder, wenn ich die Beschneidung noch predige, warum leide ich dann Verfolgung? Dann wäre das Ärgernis des Kreuzes aufgehoben.

Ja, liebe Gemeinde,

zur Freiheit hat uns Christus befreit! Auf den Gottesdienstprogrammen steht’s klein vorne drauf: 25. Januar – Tag der Bekehrung des Apostels Paulus. Paulus würde demnach wahrscheinlich nicht von seiner Bekehrung reden, sondern von seiner Befreiung, von dem Moment, an dem er aus einem inneren Gefängnis herausgeholt wurde, von dem Moment, an dem sein Fanatismus gebrochen wurde und eine neue Überzeugung heranwuchs.

„Ich eiferte über die Maßen für die Satzungen der Väter“ sagt er, wir haben es in der Schriftlesung gehört. Paulus, „über die Maßen“ überzeugt und ausgerüstet mit einem überdimensionalen Sendungsbewusstsein: „ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum, wie ich über die Maßen die Gemeinde Gottes verfolgte und sie zu zerstören suchte“ Davon ist er geheilt. Davon ist er vollkommen geheilt. Damit hat er nichts mehr zu tun. – Und hat jetzt auf einmal doch wieder damit zu tun – auf der anderen Seite, dass da die einen die andern verführen zu einem besseren Glauben, zu einem GlaubenPlus, mit Beschneidung. „Hey! Jesus war auch beschnitten. Meinst Du nicht, dass man wie Jesus sein sollte?“ „Und seine Jünger, Petrus, Jakobus, Andreas, alle. Meinst Du nicht, dass es gut wäre, wie sie zu sein?“ „Denk an Abraham, mein Freund! Heißt es da nicht: »Das aber ist mein Bund, den ihr halten sollt zwischen mir und euch und deinem Geschlecht nach dir: Alles, was männlich ist unter euch, soll beschnitten werden; Das soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und euch.« Soll das nicht mehr gelten für das neue Volk Gottes zu dem Du gehören willst?“

Ich stelle mir vor, wie sie nachgedacht haben in den Gemeinden Galatiens, wie sie sich das haben durch den Kopf gehen lassen, wie sie es ernst gemeint haben, aber auch gezögert haben. – Die Taufe war doch schon etwas. „Ja, ja, die Taufe…“ – „Aber eigentlich…“ werden diese Brüder gesagt haben, „eigentlich…“ Und die Menschen in diesen Gemeinden, die zum Glauben an Jesus Christus gekommen waren, fühlten sich plötzlich gar nicht mehr frei, sondern beklemmt.

Etwas, das es bis heute gibt, dass Glauben mit Beklemmungen verbunden ist.

Wo Glaube mit Beklemmungen verbunden ist, haben ganz andere, Außenstehende, auch wieder Beklemmungen, die es mit ansehen müssen und nicht froh dran werden, und es wird ganz und gar verklemmt;

weshalb Paulus hier keinerlei Verständnis aufbringt, keinen Kompromiss anbietet, sich nicht an einen Tisch setzen will und aushandeln, was jetzt der goldene Mittelweg wäre.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest!

So stehet nun fest und lasst Euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!

Was heißt das heute, liebe Gemeinde? Was heißt das in christlichen Kirchen, in denen das Thema Beschneidung ja schon kurze Zeit nach dem Galaterbrief kein Thema mehr war. Abgetan. Die Freiheit, die Paulus predigt, hat gesiegt. Aber es scheint, es wäre eine Freiheit, um die man immer wieder kämpfen muss, die man stets von Neuem gewinnen muss, die man nicht ein für alle Male hat, sondern die ergriffen werden will.

„Je suis Charli“ haben Millionen Menschen nach dem Terroranschlag in Paris gesagt und haben sich solidarisiert mit denen, die diesem Terroranschlag zum Opfer gefallen sind. „Je suis Charli!“ Viel weniger Menschen hat man gesehen, die sich mit den jüdischen Opfern derselben Terroraktion solidarisiert haben. Man ist ja im ersten Moment von zweierlei Anschlägen ausgegangen bis man dann schnell ihren Zusammenhang belegen konnte. „Je suis Juif“ – „Ich bin Jude“ Ja, diese Solidarisierung gab es auch, aber weitaus seltener, sie ist nahezu untergegangen.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So stehet nun fest!

Am kommenden Dienstag ist der 27. Januar. Es ist der Holocaust-Gedenktag, der Tag, an dem vor 70 Jahren das Vernichtungslager Auschwitz befreit wurde. „Je suis Juif“ – „Ich bin Jude“. Ich stelle mir vor, es wären in Hitlerdeutschland Millionen auf die Straße gegangen und hätten sich einen Judenstern angeheftet. „Ich bin Jude“ oder wären für andere Verfolgte auf die Straße gegangen. Wäre es dann zur millionenfachen Vernichtung gekommen? Hat da so vielen der Mut gefehlt? Freiheit braucht Mut! Und Freiheit braucht, dass man zusammensteht. „So stehet nun fest!“

 

Was heißt das heute, wenn es nicht mehr um das Thema von damals geht, aber vielleicht um andere Themen und immer noch um die Freiheit und darum, aus Glauben gerecht zu werden und nicht selbst gerecht zu sein?

Bleibt bei Christus, sagt Paulus den Galatern, da habt Ihr alles. Sucht nicht noch irgendwas, was Euch weiterbringt. Es wirft Euch in Wirklichkeit nur zurück. Bleibt bei Christus und kümmert Euch lieber um die, die Euch brauchen: der Glaube, der in der Liebe wirksam ist. Es heißt nicht „Glaube“ und „Liebe“, sondern heißt, dass sich der Glaube als Liebe äußert, erweist, zeigt. Vergesst alles andere, sagt er, der Glaube, der sich als Liebe äußert, ist es, nichts anderes.

Diese Woche war auch der 200. Todestag des Dichters Matthias Claudius, wahrhaft einer der größten, weil einer der bescheidensten. Wir hören nach der Orgelmediation Auszüge aus seinem Brief an seinen Sohn Johannes. Er sagt in diesem Brief: der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der wollen kann, was er tun soll.

Noch einmal: Der ist nicht frei, der da will tun können, was er will, sondern der ist frei, der wollen kann, was er tun soll.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Der Glaube, der in der Liebe wirksam ist. Amen.